Erinnerungen

Freitag, 6. April 2007

Früher mal

Wenn ich aus meinem Schlafzimmer schaue, blicke ich auf ein leerstehendes, verfallenes Haus.
Als ich noch in die Grundschule ging, wohnte dort eine kurdische Familie. Einer der Söhne ging in meine Klasse. Ferdi.
Ferdi war ein aufgeweckter, beliebter, niedlicher, kameradschaftlicher Junge. Einmal brach er sich beim Sport das Bein als er nach einem Sprung über einen Kasten nicht auf der Matte landete, sondern an dem Kasten hängen blieb. Das war im Sommer.
Ich brachte ihm jeden Tag die Hausaufgaben. Immer nach dem Mittagessen um halb eins.
Bei Ferdis Familie herrschte immer eine heimelige, angenehme Atmosphäre. Ich war immer gern dort.

Irgendwann zog die Familie weg. Seitdem wohnten in dem Haus nur noch gescheiterte Existenzen. Inzwischen steht das Haus seit Jahren leer. Nie wieder erlangte es den Glanz, den es ausstrahlte als Ferdis Familie noch dort wohnte.

Vor ein paar Jahren traf ich Ferdi zufällig wieder. Wir hatten uns über zehn Jahre nicht gesehen und doch auf Anhieb wiedererkannt. Aus dem aufgeweckten Jungen, der alle Chancen dieser Welt hatte, war ein krimineller Erwachsener mit stechendem Blick geworden. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt mit Diebstahl und Hehlerei. Durch ihn besuchte ich die erste und einzige Türkenhochzeit meines Lebens, die seines Bruders. Tausend Gäste, Hähnchen essen, anatolische Livemusik und Brautbehängung. Es war eine wunderbare Feier.

Inzwischen ist er selbst verheiratet und wohnt irgendwo in NRW. Ich habe ihn nie wiedergesehen.

Mittwoch, 17. Januar 2007

Schwarzfahrerei

Es ist schon ein paar Jahre her, dass ich für eine Woche eine Seminar in Hannover besuchte. Damals studierte ich noch nicht dort, sondern kam für die paar Tage bei einem Freund unter.
Den Weg zum Schulungszentrum legte ich mit der Straßenbahn zurück. Ich sah nicht ein, die seinerzeit fälligen 7 Mark 70 (oder so) für eine Wochenkarte von meinem kläglichen Ausbildungsentgelt abzuzwacken. "Die kontrollieren eh nie!", sagte ich mir.
Dass ich mit dieser Annahme meiner eigenen Naivität auf den Leim gegangen war, merkte ich schon am zweiten Tag als ich nur durch Zufall bemerkte, wie zwei Kontrollettis einen Schwarzfahrer, ich glaube, der war Russlanddeutscher, am Wickel hatten und dieser um keine Ausrede verlegen war, um den seinerzeit fälligen 40 Mark Strafe zu entgehen. Der guckte noch drei Mal in jede noch so kleine Tasche seines Seidenblousons, aber das alles nützte nichts. Unfreiwillig wurde Sergej Pjotr Wieauchimmerwitsch aber mein Komplize, indem er es mir ermöglichte, möglichst unauffällig, weil ohne Fahrschein, der Bahn zu entsteigen. Noch mal Glück gehabt! Pech aber hatte ich, weil ich noch circa sieben Haltestellen hätte passieren müssen. Weil ich mich nicht traute, an diesem Tag noch einmal die Bahn zu besteigen, ging ich die restlichen 10 paar Kilometer zu Fuß nach Hause.

Obwohl ich nicht dachte, dass an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Kontrolleure ihr Unwesen treiben würden, war ich auf der Hut. Jeder, der die Bahn betrat, wurde von mir genauestens unter die Lupe genommen und auf mögliche Anzeichen für einen Job als Kontrolletti gescannt. Dass meine Annahmen und die Realität aber sehr stark auseinanderklaffen, merkte ich, als eine lustige Kombo, bestehend aus Hartz IV-Empfängern (gab es damals noch nicht, ich weiß), Zuhältern und Asylanten (mein erster Gedanke: "DAS sind sicher keine Kontrolleure!") ausschwärmte nachdem die Türen sich geschlossen hatten und ihr fröhliches "Die Fahrscheine, bitte" flöteten.
Ich versuchte den gleichen Trick wie am Vortag. Der scheiterte aber kläglich, weil wir erstens noch viel zu weit von der nächsten Haltestelle weg waren und weil ich zweitens die einzige war, die keinen Fahrschein hatte. Ohne langes Drumherumreden gab ich zu, keinen Fahrschein zu haben. So stiegen die finsteren Jungs mit mir aus und erleichterten mich um 40 Mark. Zum Glück waren sie so nett, mich für den Preis noch weiterfahren zu lassen.

Nun war ich also gewarnt. Weiteres Risiko wollte ich nicht eingehen. Ab sofort kaufte ich mir einen Fahrschein. Und tatsächlich! Am nächsten Tag penetrierten (nicht dasPenetrieren) die Kontrollettis die GVH-Gäste schon wieder! Es waren sogar die selben Herren. Der blonde Übergewichtige zwinkerte mir noch zu. Bäh!

Was lernen wir daraus? Was lernte ich daraus? Ich fuhr nie wieder schwarz. Nicht einmal, wenn ich eine Station fuhr. Ein Experte in Sachen Kontrollettis erkennen bin ich trotzdem nicht geworden. Auch heute bemerke ich die erst, wenn sie mich antippen, um meinen Fahrschein sehen zu wollen. Ein Schauer geht mir noch immer durch Mark und Bein, wenn ich diesen Satz "Zugestiegene die Fahrscheine bitte." (auch kein korrektes Deutsch, oder?) höre. Weil ich immer Angst habe, mit meinem Fahrschein könnte irgendwas nicht stimmen.

Dienstag, 16. Januar 2007

Lebensweisheiten

Lügen und Betrügen. Heikles Thema. Besonders in einer Beziehung. Niemand möchte belogen und betrogen werden. Zugeben möchte auch niemand zugeben, seinen Partner zu belügen und zu betrügen. Die Folgen sind oft weitreichend. Vertrauen wird zerstört. Die intakte Basis geht verloren. Im schlimmsten Fall wird die Beziehung beendet.
Auch ich habe diese schlimme Erfahrung schon machen müssen.
Grundsätzlich bin ich ein eifersüchtiger Typ. Früher war es schlimmer. Heute ist es besser. Es liegt nicht an mangelndem Selbstbewusstsein. Vielmehr dachte ich, wenn ich meinen Partner nicht kontrollieren kann, dann entgleitet er mir und geht fremdvögeln. Dass das genaue Gegenteil oft der Fall ist, merkte ich erst später. Heute denke ich anders darüber. Vertrauen ersetzt Kontrolle.
Meinen ersten Freund liebte ich abgöttisch. Und er liebte mich abgöttisch. Das wusste ich und weiß es noch heute. Nur auf eine einzige Frau war ich eifersüchtig. Sie war die Frau, mit der er das erste Mal in seinem Leben Sex hatte. Ich kannte sie nicht, nur ein Foto von ihr. Auf diesem verkörperte sie all das, was ich nicht hatte und gern besessen hätte. Sie war anmutig, reizend, eine zarte Person, voller Grazie und Eleganz. Ich sehe diese Eigenschaften bei mir nicht. Ich bin ein sehr natürlicher Typ Frau. Auf gleicher Augenhöhe. Mit mir zieht man eher um die Häuser als dass man mich auf einen Sockel hebt.
Irgendwann dann passierte es dann. Er schlief mit ihr und hatte nichts Besseres zu tun als mir brühwarm davon zu erzählen. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich malte mir die schlimmsten Dystopien aus. Ab sofort würde er mich mit jeder Frau betrügen, die ihm über den Weg lief.
Ehrlich gesagt wäre es mir damals lieber gewesen, er hätte dieses Detail für sich behalten. Zwischen uns hätte sich nichts geändert, weil es für ihn bedeutungslos war. Ich wäre nicht beunruhigt gewesen, sondern hätte mit dieser Lüge leben können, weil ich von ihrer Existenz nicht gewusst hätte.
Lügen und betrügen. Belogen und betrogen werden. Niemand möchte belogen werden, aber manchmal ist eine Lüge die leichter zu ertragende Wahrheit.

Mittwoch, 13. Dezember 2006

Die 80er waren das bessere Fernsehjahrzehnt

Kabel 1 ist so ein schlechter Fernsehsender nicht. Zwar kann ich mich für diese King of Queens etc. pp. Geschichte nicht so wirklich erwärmen, aber manchmal bringt Kabel 1 Filme, die bei mir warme, freundliche Erinnerungen wecken. So auch gestern Abend. Over the Top. Mit Schtallone.
Ja, ich gebe zu, ich bin ein Freund von mittelmäßigen, geschmacklosen Filmen der 80er. Woher das kommt, kann ich gar nicht genau sagen, aber wenn ich einen Blick auf meine Videosammlung (die ich eigentlich entsorgen könnte, weil mein Videorecorder vor kurzem den Geist aufgegeben hat) werfe, dann finde ich dort Bestätigung: Red Heat mit Arnie, Masters of the Universe mit Dolph Lundgren, Zurück in die Zukunft (ja, das ist ein Klassiker!) und so weiter.
Und dann die ganzen tollen Serien! Aus heutiger Sicht betrachtet kann ich als Kind nicht viel anderes gemacht haben als Fernsehen gucken: Das A-Team, Knight Rider, Ein Colt für alle Fälle, Ein Duke kommt selten allein, Hart aber herzlich, Agentin mit Herz, Hotel, Remington Steel, ALF… Das waren die Helden meiner Kindheit. Colt Sievers, Michael Knight, Face und wie sie alle hießen.
Was mich aber wohl am stärksten geprägt hat und was nicht unerwähnt bleiben darf, weil sonst ein ganz falsches Bild entsteht, war ein ganz ganz toller TV-Mehrteiler, den ich das erste Mal mit 5 oder so gesehen habe (meine Eltern muteten mir eben gern starken Tobak zu, das härtet ab) und der seitdem etwa 15 Mal wiederholt worden ist. Das letzte Mal von Kabel 1! Das ist aber inzwischen drei Jahre her und ich plädiere dafür, diese Serie mal wieder in den Sendeplan aufzunehmen.
Falls nicht, ist es auch nicht schlimm, dann gucke ich mir Fackeln im Sturm eben das 72. Mal auf DVD an.

Montag, 20. November 2006

Meine erste Weiberfastnacht

...ist gleichzeitig meine einzige. Ich weilte seinerzeit in einer kleinen Stadt im Sauerland, die dem Karneval sehr stark zuspricht. Jemandem, der aus einem vom Karneval geprägten Landstrich kommt, ist es immer unvorstellbar, dass es auch andere Regionen Deutschlands gibt, in denen diese Tradition nichts, aber auch gar nichts zu bedeuten hat. Da sind Tage wie der 11.11., Rosenmontag und Aschermittwoch stinknormale Arbeitstage und niemand schert sich um Bräuche und Feiern. Viel mehr sind die Leute dort genervt von den elenden Karnevalssendungen im TV und nicht enden wollendem 'Alaaf' und 'Helau' Gebrüll.
Schon Wochen zuvor steigerte sich die Spannung und Erwartung unter den Mitarbeiterinnen von Tag zu Tag. Pläne wurden geschmiedet, was Feier und Kostümierung betraf. Ich hielt mich vornehm da raus, nahm ich doch an, an besagtem Tag ganz normal zu arbeiten. Aber meine Kolleginnen belehrten mich eines besseren: Pünktlich einen Tag vor Weiberfastnacht kam die unausweichliche Frage: hast Du denn schon ein Kostüm? Natürlich nicht. Och, das kriegen wir schon hin. Ich bring Dir morgen eins mit.
Meine Befürchtungen ließen mich in der Nacht kaum ein Auge zu tun. Was würden die mit mir anstellen? Aber der Mensch ist bekanntlich ein Rudeltier, das nahm der Situation die Schärfe.
Dann kam der große Tag, für mich hatte es den Anschein als wäre Weiberfastnacht der wichtigste Tag des Jahres, noch vor Silvester, Weihnachten, Geburtstag und dem ersten Tag des Sommerurlaubs. Punkt halb zehn ließen die Damen ihre Kugelschreiber fallen, fuhren die Rechner runter und holten diverse Fläschchen mit leckeren (?) Likörchen aus den Schubladen. Die diesjährige Kostümierung: Clowns! Oh my goodness! Man steckte mich in eine bunte Latzhose und bemalte mich derart, dass auch noch das mutigste Kind vor mir weggerannt wäre, wenn es mich so gesehen hätte.
Gut vorbereitet machten wir uns auf den Weg durch das jetzt schon verwaiste Bürogebäude (das Verhältnis Frauen zu Männer betrug in etwa 10:1). Die armen Kerle, die im Gegensatz zu uns Frauen weiterarbeiten mussten, mussten nun nicht nur ihre Krawatten opfern, sondern waren gezwungen, eine 'Spende' von ihrem Geldbeutel in unser Sparschwein wandern zu lassen. Die Damen weigerten sich also nicht nur zu arbeiten, sondern ließen sich ihr Gelage auch noch finanzieren. Smart!
Unser Arbeitgeber (der zu allem Überfluss auch noch alkoholische Genussmittel produziert) hatte bereits einen Partyraum ausstaffiert mit kaltem Büffet und soviel Alkohol, mit dem man ganz Oer-Erkenschwick hätte lahm legen können.
Mit steigendem Blutalkoholspiegel stieg auch meine Laune und es machte mir gar nichts mehr aus wie der letzte Trottel auszusehen. Schließlich sahen alle aus wie die letzten Trottel! Es wurde getanzt, gelacht, gegessen und vor allen Dingen getrunken.
Nach etwa acht Stunden Druckbetankung war dann auch bei mir Sense. Gut, das war so gegen 18 Uhr. Da fangen andere erst an.
Was ich nicht bedacht hatte: abends war ich mit vier (ja, vier!) überdurchschnittlich attraktiven Männern fürs Kino verabredet. Das wollte ich auf jeden Fall wahrnehmen, ungeachtet meines (desolaten) körperlichen Zustands.
Gegeben wurde ein Film mit Diane Keaton und Jack Nicholson, der dadurch Schlagzeilen gemacht hatte, dass die 100-jährige schon etwas ältere Diane Keaton nackt zu sehen war. Das sah ich zwar nicht, dafür erfreute ich mich daran, dass jeder Darsteller seinen Zwilling zu den Dreharbeiten mitgebracht hatte. Interessant, aber bei Kopfschmerzen nicht gerade zuträglich. Weiterhin nachteilig wirkte sich mein Alkoholpegel auf mein Balzverhalten aus. Ich hatte mir natürlich schon vorher einen der vier ausgesucht, dem meine Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. Leider vergeblich. Jede körperliche Annäherung meinerseits wurde durch böse Blicke, abwehrende Gesten und irgendwann auch eindeutige Aufforderungen (Lass das jetzt mal!) unterbunden. Tja, Alkohol macht zwar mutig, aber nicht immer erfolgreich.

Sonntag, 12. November 2006

12. November 1996

Einen geliebten Menschen zu verlieren ist gleichbedeutend mit einem Loch, das in das Leben gerissen wird. Es fehlt ein Teil des Ganzen, nichts vermag die entstandene Lücke aufzufüllen, das Loch wird vielleicht kleiner, geschlossen wird es aber nie vollständig.
Inzwischen ist es zehn Jahre her, dass ich den Menschen verlor, der mir alles bedeutete. Mein Dreh- und Angelpunkt, der Sinn meines Daseins, gleichzeitig der Ursprung meines Lebens. Wir hatten eine sehr enge Bindung zueinander, wir waren vom gleichen Schlag, wir verstanden uns blind. Bei ihm konnte ich immer auf Verständnis hoffen, er fing mich auf, er gab mir Halt, er war mir eine sehr große, wenn nicht die einzige Stütze meines Lebens.
Obwohl ich mich auf seinen Tod vorbereiten konnte, weil sein Tod absehbar war, traf er mich doch unvorbereitet. Es ist einfach nicht möglich, sich auf diesen Moment des Ablebens einzustellen, auch wenn man vorher davon Kenntnis genommen hat.
Schlimmer noch als die Trauer war für mich der Gedanke, dass ich keinen Frieden mit ihm machen konnte bevor er mich für immer verließ. Wir hatten wenige Tage zuvor einen bösen Streit gehabt und bevor wir diesen aus der Welt räumen konnten, traf ihn der Tod so plötzlich, dass es für mich keine Gelegenheit mehr gab, ihm meine Liebe zu versichern und ihm zu zeigen, dass er für mich der beste Mensch der Welt ist. Wochenlang, monatelang lebte ich mich diesem Gedanken. Er raubte mir den Schlaf und bereitete mir Gewissensbisse. Erst sehr viel später machte ich den Frieden mit mir und mit ihm. Ich sah ein, dass es nicht dieser eine Streit war, der über unsere Beziehung eine Aussage traf, sondern dass es die vielen Jahre voller Liebe, Lachen und Fürsorge waren, die das Verhältnis zwischen uns prägten. Nicht nur für die Zeit, die wir zusammen verbringen durften und die nach wie vor zu den besten meines Lebens zählt, sondern für die Ewigkeit

Freitag, 10. November 2006

Matten- Mattenherrn

Ach, wie habe ich das als Kind geliebt. Kurz nach meinem Geburtstag stand Martinstag vor der Tür. Ich komme ja aus einer, was den Martinstag betrifft, sehr kinderfreundlichen Gegend.
Ich war seit je ein riesiger Fan vom Martinstag, zumal mir an diesem Tag niemand das Singen verbieten konnte. Ganz im Gegenteil: für das Schmettern des immer wieder gleiches Liedes wurde ich sogar noch belohnt! Jedes Jahr aufs Neue zogen meine Freundinnen und ich von Haus zu Haus und trällerten, was das Zeug hielt:

Als Martin noch ein Knabe war
Hat er gesungen so manches Jahr
Drum liebe Leute, gebt uns was
Denn heute ist ja Martinstag


Zugegeben, die Reime sind nicht ganz rein und auch der Text ist nicht der Brüller, aber er hat uns alljährlich säckeweise Snickers, Mars, Bounty, Milky Way, duplo, hanuta und den ganzen Kram (außer Aldi war das damals mit den Discountern noch nicht so gang und gäbe, Beschisssüßigkeiten kannte da noch kein Mensch) beschert.
Zu meiner heißen Krimiphase dichtete ich die erste Zeile gern zu Als Matula ein Knabe war um und stellte mir den jungen Claus Theo Gärtner mit Lederjacke vor.
Auf dem Dorf kennt man seine Pappenheimer, wir wussten immer genau, wo nie jemand aufmachte, wo die Ökos wohnten, die statt Süßem Geld an Brot für die Welt spendeten (als ob da irgend jemand etwas von gehabt hätte), wo alte Omis vergammelte Kekse einzeln (!!!) in den Beutel wandern ließen, wo die Sparsamen die selbst geernteten Äpfel verteilten, die sowieso keiner haben wollte, wo es ganze Tafeln Milka gab, weil die Häuser so unheimlich weit abgelegen waren und kein Kind sich dort hin traute. Der Held aller Martinssänger aber war 10-Pfennig-Joe. Wie der Name schon sagt, gab es bei ihm Bares statt Süßes. (Damals waren 10 Pfennig viel Geld! Dafür konnte man 2 Blatt Esspapier kaufen.) Er war schon so alt und klapprig, dass er es gar nicht merkte, wenn man häufiger als einmal vor seiner Tür sang. Immer wieder öffnete er mit zittriger Hand und ließ einen von den Groschen von dem braunen Tonteller in unsere EDEKA-Tüten fallen. Wir fragten uns damals oft, ob er davon nicht arm würde und wie lange er wohl für den Martinstag Münzen sammeln würde. Bestimmt das ganze Jahr über.
Nach der Konfirmation nahm der Spaß leider ein Ende. „Dafür seid Ihr schon zu groß. Singen gehen könnt Ihr jetzt nicht mehr.“
Toll, ganz toll. Aber wir waren ja nicht blöd! Statt uns selbst abzurackern, die Füße platt zu laufen, den Arsch abzufrieren und peinliche Lieder singen zu müssen, machten wir den Martinstag zu einer Art Selbstbedienungstag. Tüten treten! Zum Glück war auf die Idee keiner gekommen als wir kleiner waren. Die Gören fanden das natürlich nicht so lustig. Fingen an zu kreischen und rannten weinend nach Hause. Egal, das Süße war unser!
Und heute? Gehe ich noch manches Mal von Tür zu Tür. Nicht mit einer Tüte, aber mit einem Schnapsglas. Prost!

Mittwoch, 1. November 2006

Eheähnlich

Ich hatte mich von ihm getrennt, weil es mir zu eng wurde. Zu enge Wohnung, zu enge Beziehung, zu enges Verhältnis.
Von Anfang an ging bei uns alles viel zu schnell. Man lernt sich kennen, wird ein Paar, zieht zusammen, wenn alles gut geht. Nicht so bei uns. Ich zog bei ihm ein, weil seine damalige Freundin für ein halbes Jahr ins Ausland ging und ich dringend eine Bleibe brauchte. Keine zehn Tage dauerte es. Dann war nicht mehr sie seine Freundin, sondern ich.
Wir unternahmen alles miteinander, wirklich alles. Nirgendwo ging ich mehr allein hin, nicht einmal zum einkaufen. Abends lagen wir eng umschlungen vor dem Fernseher und schmiedeten Zukunftspläne. Wenn eine Freundin anrief und mich fragte, ob wir etwas unternehmen wollten, winkte ich jedes Mal ab. Ich wollte lieber zu Hause bleiben, bei ihm. Zeit mit ihm verbringen. Genauso schnell wie wir ein Paar geworden waren, lernten wir unsere Eltern kennen. Eine Schonphase gab es in dem Sinne nicht. Es kam unverzüglich zur Integration in die Familien. Gemeinsames Mittagessen, gemeinsam Kaffee trinken, gemeinsam unterm Weihnachtsbaum sitzen.
Ich war glücklich. Mir sagte dieses beschauliche, konservative, geradezu spießige Leben zu. Ich hätte ihn vom Fleck weg geheiratet und den Rest meines Lebens mit ihm verbracht. Das war damals mein großer Traum.
Ich kann nicht mehr genau sagen, wie es dann zu der Wende kam. Ich glaube, es lag daran, dass ich mit Freunden zu einem Konzert ging, für das wir schon vor ewig langer Zeit die Karten bestellt hatten. Ich freute mich auf dieses Konzert, auch wenn es bedeutete, dass ich einen Abend lang von meinem Schatz getrennt sein würde. Der Abend wurde ein voller Erfolg und mir war, als hätte man etwas in mir geweckt, das lange Zeit geschlafen hatte. Ich begann, die Situation in Frage zu stellen. Nicht meine Liebe zu ihm, die war unumstößlich. Es ging um mich und darum, was ich war und was ich wollte. Das war schwierig zu beantworten, denn mich gab es im Grunde nicht mehr.
Es gab nur noch uns. Uns. Uns. Uns. Meine Freunde hatte ich sträflich vernachlässigt, Hobbys hatte ich aufgegeben. Für mich gab es nur noch einen Lebensinhalt. Ihn. Ich begriff, dass es so nicht weitergehen konnte. Sollte so der Rest meines Lebens verlaufen? Nie mehr um die Häuser ziehen? Keine Partys mit Freunden mehr? Nichts mehr, was ich allein tun konnte? Ich wusste, dass ein radikaler Schritt notwendig war, damit ich wieder zu mir selbst zurück finden konnte. Damit ich wieder die Frau war, die ich sein wollte und die meine Freunde, meine Familie mögen. Die Madame, die auf keiner Party fehlen darf, die immer für einen Lacher gut ist, die Hund und Hänger kennt und die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt.
Es hat funktioniert. Angst habe ich nach wie vor. Vor meiner eigenen Bedingungslosigkeit.

Dienstag, 31. Oktober 2006

Verkehrsfunk

Ich hatte bereits an anderer Stelle von meinem ersten Auto berichtet. Die einzige Reliquie, die davon übrig blieb, war ein Autoradio, das ich zwar beizeiten als Accessoire geschenkt bekommen hatte, das mit der vorhandenen Monobox jedoch nicht kompatibel war. Daran, weitere Boxen einzubauen, hatte ich damals nicht gedacht. So freute ich mich darauf, in mein zweites Auto, ein Corsa war’s, endlich mein SONY Autoradio samt CD-Player einbauen zu können. Genauer gesagt, einbauen zu lassen.
Ich vertraute mich dafür dem Mann an, für den damals mein Herz schlug. Er hatte es mir angeboten und ich griff gern darauf zurück. Konnte er mir so sein handwerkliches Geschick unter Beweis stellen. Gesagt getan. Das Resultat war leider nicht wünschenswert, denn statt CD konnte ich weiterhin nur Radio hören. Ein Luxus, der mir schon bei Herbie erlaubt war.
Der Mann, für den damals mein Herz schlug, schien also mehr heiße Luft zu spucken als von Autoradios Ahnung zu haben. Also wandte ich mich kurzerhand an meinen guten Freund Günther, Ihr wisst schon, mein jetziger Vermieter mit den unmöglichen Klauseln im Mietvertrag. Günther gab sich zuversichtlich und brachte innerhalb kurzer Zeit, es waren wohl 10 Stunden, CD-Player und Autoradio zum Laufen.
Doch die Freude währte nicht lang: zwei Tage. Es war an einem Montagabend. Ich wollte gerade von der Arbeit nach Hause fahren. Tür auf, rein gesetzt, Schlüssel rein. Alles ganz normal. Motor starten. Moment, was ist das? Graue Rauchschwaden drangen aus der Lüftung in der Mittelkonsole. Gestank Geruch von verbranntem Gummi. Von Panik ergriffen stieg ich aus. Bei lebendigem Leib im Auto zu verbrennen, dazu hatte ich keine Lust. Die Diagnose fiel weniger drastisch aus: Kabelbrand. Na toll, das war es mit dem Hörgenuss. In Zeiten vor iPod und dem ganzen Gedöns nahezu ein Todesurteil.
Die Krux: Günther war gerade vom Bund eingezogen worden und somit die nächsten zwei Monate unabkömmlich. Warum ich mich mit dem Problem nicht an jemand anders wandte, kann ich im Nachhinein gar nicht mehr genau sagen. War halt so.
Zwei Monate später also nahm Günther sich erneut des Problems an. Eine Lösung fand er nicht. Wenigstens brachte er den CD-Player zum Laufen. Das war mir Trost genug. Konnte ich so wenigstens mein Programm weitestgehend selbst bestimmen.
Etwa ein dreiviertel Jahr später, den Gedanken, beim Autofahren Radio hören zu können, hatte ich schon aus meinem Hirn gestrichen, unternahm ich einen Ausflug nach Österreich. Das erste, was mich wunderte, waren die niedrigen Benzinpreise. Was hat Österreich doch gleich für eine Währung? Ach ja, auch Euro. Merkwürdig. Ich erinnere mich noch genau, wie ich nichts Böses ahnend für meine Verhältnisse sehr gemütlich durchs beschauliche Oberösterreich fuhr und den Klängen eines wunderbaren Soundtracks zu einem noch wunderbareren Film lauschte. Plötzlich diese Stimme! Woher kam sie? Aus meinem Kopf?
‚Bitte Vorsicht auf der A1 Oberösterreich, zwischen Wien und Linz, 5 Kilometer stockender Verkehr.’
Nein, das war keine Einbildung! Das war mein Radio! Es war wieder da! Ein Wunder! So froh, endlich wieder über diesen Kommunikationsweg an die Welt angeschlossen zu sein, dudelte fortan alles über den Äther. Ö3, Bayern 3, FFH. Den ganzen Weg bis nach Hause begleiteten mich fröhliche, sinnfreie Radiosendungen. Den ganzen Weg? Denkste! Kaum hatte ich Hessen gen Norden verlassen und fuhr ins schöne niedersächsische Heimatbundesland ein, verließen sie mich. Ich konnte es nicht fassen, aber es war so. Enttäuscht war ich schon. Das wurde auch nicht durch die Tatsache gemildert, dass mein Radio mir gnädig gestimmt war, wenn ich einmal zum Fußball nach NRW fuhr. Da sendete es anstandslos. Nur zwischen Osnabrück und Magdeburg, zwischen Emden und Göttingen, da wollte es einfach nicht. Ich glaube, es hatte eine Allergie gegen das, manche würden es verdorben nennen, liebliche Land Niedersachsen.

Dienstag, 26. September 2006

Fuffies im Club

Ich war auf einer Familienfeier in Hannover. Ich habe eine sehr große Familie. 80 Leute waren wir sicher. Gerade aus meinem ersten „richtigen“ Urlaub (mit Flug, Hotel, Animation etc., aber das ist eine andere Geschichte) zurückgekommen, war ich noch ganz euphorisch. Ich habe eine Familie mit recht hohem Altersdurchschnitt. Also waren die einzigen Personen unter 20 außer mir mein Cousin, der so alt jung war wie ich, mein Cousin, der immerhin schon volljährig war und dessen Freundin.
Ich habe eine Familie, die dem Alkohol nicht abgeneigt ist. Also tranken wir vor, während und nach dem Essen ausgiebig alles das, was flüssig war und was das Mädchen hinter der Bar uns gestattete. Ich habe eine sehr großzügige Familie. Jeder der Tanten, Onkel, Omas, Opas kam im Laufe des Abends früher oder später auf uns zu und steckte jedem von uns Geld zu. „Hier, nimm hin, mein Junge. Kauf Dir was Schönes.“ Kennt man ja.
So akkumulierten wir, während der Alleinunterhalter Klassiker Unterhaltungsmusik von Wolfgang Petry bis Udo Jürgens zum Besten brachte, eine ansehnliche Summe Bargelds. Wir waren jung und brauchten hatten das Geld! Was also taten wir? Auf in die Stadt! Ganz auf dicke Hose orderten wir ein Taxi. „Zum Raschplatz, bitte!“
Dem Taxifahrer nen Fuffi in die Hand gedrückt, noch nen Fuffi für die versauten Ledersitze dazu, raus aus dem Taxi, rein in die Baggi. Zum ersten Mal lernte ich den Vorteil zu schätzen, den das Aussehen mit sich bringen kann. Nicht, weil ich so glänzend aussah mit meiner Festtagsrobe. Nein, damals war ich meinem Alter zehn Jahre voraus, was das Erscheinungsbild betrifft. Also keine Probleme mit der Ausweiskontrolle. 32 Mark für vier Personen. Damals war das eine Menge Kohle. Was man damit alles hätte machen können! Aber wir hatten’s ja. Ab an die Bar! Sol Bier! 24 Mark. Was soll der Geiz. Hier, Wechselgeld kannste Dir schenken.
So ging es munter weiter. Wir konnten machen, was wir wollten. Das Geld wollte und wollte nicht weniger werden. Draußen wurde es hell, drinnen auch. Die Lichter gingen an und wir waren noch weit von der Ebbe im Portemonnaie entfernt. Also wieder ein Taxi gerufen und kreuz und quer durch die Stadt fahren lassen. Natürlich nicht, ohne vorher an der Tanke anzuhalten und dick und fett Bacardi-Cola in Dosen einzusacken (ich ließ damals schon seit Jahren die Finger von Bacardi-Cola, aber das ist eine andere Geschichte).
Gegen halb acht landeten wir bei der sehr netten Freundin meines Cousins in der Wohnung. Sie wohnte im achten Stock eines hässlichen Wohnblocks. Der achte Stock hatte den Vorteil, dass wir die Passanten, die wenigen, die an diesem Sonntag Morgen schon unterwegs waren, unten auf der Straße anpöbeln konnten, ohne dass die überhaupt merkten, wo die ‚Ey, Turbo Tekkin!’ – Rufe überhaupt herkamen. Weitere nette Gestalten, die ich an diesem Morgen kennen lernte, waren Orkan Orhan und Muskel Murat.
Das war das erste Mal, dass ich einen Club von innen sah. Ein einschneidendes, wunderbares Erlebnis. Das war auch das erste Mal, dass ich mir den Abend noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Ein einschneidendes, beschissenes Erlebnis.

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