Eheähnlich

Ich hatte mich von ihm getrennt, weil es mir zu eng wurde. Zu enge Wohnung, zu enge Beziehung, zu enges Verhältnis.
Von Anfang an ging bei uns alles viel zu schnell. Man lernt sich kennen, wird ein Paar, zieht zusammen, wenn alles gut geht. Nicht so bei uns. Ich zog bei ihm ein, weil seine damalige Freundin für ein halbes Jahr ins Ausland ging und ich dringend eine Bleibe brauchte. Keine zehn Tage dauerte es. Dann war nicht mehr sie seine Freundin, sondern ich.
Wir unternahmen alles miteinander, wirklich alles. Nirgendwo ging ich mehr allein hin, nicht einmal zum einkaufen. Abends lagen wir eng umschlungen vor dem Fernseher und schmiedeten Zukunftspläne. Wenn eine Freundin anrief und mich fragte, ob wir etwas unternehmen wollten, winkte ich jedes Mal ab. Ich wollte lieber zu Hause bleiben, bei ihm. Zeit mit ihm verbringen. Genauso schnell wie wir ein Paar geworden waren, lernten wir unsere Eltern kennen. Eine Schonphase gab es in dem Sinne nicht. Es kam unverzüglich zur Integration in die Familien. Gemeinsames Mittagessen, gemeinsam Kaffee trinken, gemeinsam unterm Weihnachtsbaum sitzen.
Ich war glücklich. Mir sagte dieses beschauliche, konservative, geradezu spießige Leben zu. Ich hätte ihn vom Fleck weg geheiratet und den Rest meines Lebens mit ihm verbracht. Das war damals mein großer Traum.
Ich kann nicht mehr genau sagen, wie es dann zu der Wende kam. Ich glaube, es lag daran, dass ich mit Freunden zu einem Konzert ging, für das wir schon vor ewig langer Zeit die Karten bestellt hatten. Ich freute mich auf dieses Konzert, auch wenn es bedeutete, dass ich einen Abend lang von meinem Schatz getrennt sein würde. Der Abend wurde ein voller Erfolg und mir war, als hätte man etwas in mir geweckt, das lange Zeit geschlafen hatte. Ich begann, die Situation in Frage zu stellen. Nicht meine Liebe zu ihm, die war unumstößlich. Es ging um mich und darum, was ich war und was ich wollte. Das war schwierig zu beantworten, denn mich gab es im Grunde nicht mehr.
Es gab nur noch uns. Uns. Uns. Uns. Meine Freunde hatte ich sträflich vernachlässigt, Hobbys hatte ich aufgegeben. Für mich gab es nur noch einen Lebensinhalt. Ihn. Ich begriff, dass es so nicht weitergehen konnte. Sollte so der Rest meines Lebens verlaufen? Nie mehr um die Häuser ziehen? Keine Partys mit Freunden mehr? Nichts mehr, was ich allein tun konnte? Ich wusste, dass ein radikaler Schritt notwendig war, damit ich wieder zu mir selbst zurück finden konnte. Damit ich wieder die Frau war, die ich sein wollte und die meine Freunde, meine Familie mögen. Die Madame, die auf keiner Party fehlen darf, die immer für einen Lacher gut ist, die Hund und Hänger kennt und die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt.
Es hat funktioniert. Angst habe ich nach wie vor. Vor meiner eigenen Bedingungslosigkeit.
frau k. - 1. Nov, 09:43

erschreckend sowas, wie schnell das geht..

NBerlin - 1. Nov, 12:56

Kenne ich schade das es keinen anderen Ausweg als die Trennung gab...

Paule (Gast) - 1. Nov, 12:58

Das kommt mir verdammt bekannt vor. Fast drei Jahre, inklusive einem Jahr zusammenwohnen und vor der Glotze einschlafen. Irgendwann musste ich raus. Dringend. War weniger ein einziges ausschlaggebendes Ereignis als ein schleichender Prozess. Das Ergebnis war das gleiche. Mit Heulen und Zähneklappern zwar, aber zum erstarrt sein bleibt noch mehr als genug Zeit wenn ich älter (alt) bin.

madamesauvage - 1. Nov, 14:25

Schleichender Prozess beschreibt es sehr gut.

@Nadine: die radikale Entscheidung war die einzig mögliche. Danach ging es mir sehr viel besser.

Bandini - 1. Nov, 14:44

Ich merke es immer wieder: Single zu sein ist nicht das schlechteste.

mcwinkel - 1. Nov, 15:17

Und dann einfach alles hingeworfen?
Ach so.

Dafür steht das "sauvage" dann also. Spitz, pass' auf!

madamesauvage - 1. Nov, 15:34

Von wegen einfach!
Aber der Nick ist schon mit Bedacht gewählt, da magst Du recht haben...
silka (Gast) - 1. Nov, 16:27

hm ich hoffe ich kann da bald mal mitreden

Chinaski - 1. Nov, 21:21

Wobei es weniger darum gehen sollte ob Freunde oder Familie einen mögen sondern ob man sich selber mögen kann. Die grösste Enttäuschung wie auch die grössten Freuden des lebens bescherrt sich der Mensch selbst. Schlechtes Gewissen vor sich selbst zu haben ist eines der beschissensten Gefühle der Welt. Dieses Gefühl kann nur noch von dem Gefühl getoppt werden dass man sich den Arsch von fremden Personen abwischen lassen muss ohne was dagegen tun zu können.

Cheers!

madamesauvage - 1. Nov, 21:41

Hab ich doch geschrieben: dass ich wieder ich sein wollte. Ich bezweifle fast, dass mich jemand damals nicht mochte. Zumindest nicht mehr Leute als vorher. Es hieß eher danach: aber warum? Du warst doch so glücklich.
Ja, für die anderen vielleicht. In mir drinnen nicht mehr.
Chinaski - 1. Nov, 21:44

yesterdays story.

Heute gehts dir aber besser und im nachhinein bist du mit der damaligen Entscheidung zufrieden. Cheers!


...oder bist du etwa nicht zufrieden?
madamesauvage - 1. Nov, 21:50

Ich bin mit der Entscheidung 100 Prozent zufrieden. Und mit der derzeitigen Situation annähernd. Klar gibt es hier und da ein paar Schönheitsfehler, die ich gern korrigiert wüsste, aber es könnte mir deutlich schlechter gehen. No need to complain, honey! Not at all!
SirParker - 1. Nov, 23:27

Anfangs ist es immer so, dass man die Freunde vergisst. Wahre Freunde verstehen das und akzeptieren es auch eine Weile.
... und dann treten sie Dir auf den Fuß und holen Dich auf den Boden der Tatsachen zurück. Und daran erkennst Du sie auch.

Nach dem Verliebt sein kommt die Liebe und die besteht auch aus dem "Freiraum lassen"... man muss sie sich aber auch nehmen wollen.

Eine gute Nacht wünscht
SirParker

madamesauvage - 2. Nov, 08:06

Weise Worte zu später Stunde, und wahr noch dazu. Danke.
o.h. (Gast) - 2. Nov, 08:24

werde das gefühl nicht los, daß bei der geschichte ein paar entscheidende details fehlen. erstmal klingt es doch nach der völlig normalen verliebtheitsphase, in der man alles gemeinsam machen will und die freunde notgedrungen etwas zu kurz kommen. aber dann kommt doch der punkt, wo man sich auch wieder anderen leuten mehr widmet. (analog dem vorschreiber sirparker)
die frage is doch eher, ob man die kraft hat auch wieder ein stück weit sein eigenes ding zu machen und (vielleicht is das das fehlende detail) ob man sich gegenseitig diese freiräume läßt. da in der geschichte nix davon stand, daß es diese einschränkungen gab, verstehe ich den endgültigen schritt nicht ganz.
madamesauvage - 2. Nov, 10:12

Das ist der normale Vorgang, sehe ich auch so. Wenn es aber nicht dazu kommt und man sich in der Beziehung verschanzt, dann stimmt etwas nicht. Wo die Ursachen dafür zu suchen sind, vermag ich nicht zu sagen.
Ein Kompromiss war für mich in dieser Situation nicht denkbar, für ihn schon. Ich bin kein Typ für halbe Sachen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an für mich.

Trackback URL:
https://madamesauvage.twoday.net/stories/2877537/modTrackback


Begegnungen
Cologne
England
Erinnerungen
La vie fabuleuse de la Mme S.
Mein 2006
Mein 2007
und außerdem
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren