Donnerstag, 7. September 2006

Nachschulung

Ich neige nicht zu Selbstgesprächen. Ich neige auch nicht zu Flüchen. Anders ist es, wenn ich Auto fahre und das Gefühl habe, außer mir seien nur Fahranfänger, Rentner und Besoffene unterwegs. Ich glaube, ich sollte das Autofahren aufgeben. Heute Morgen war ich wieder in so einer Situation. Ich hasse es, wenn jemand vor mir die linke Spur mit 120 Stundenkilometern blockiert. Ich hasse es, wenn Leute glauben, sie könnten vor mir einfädeln, auch wenn ich doppelt so schnell fahre wie sie. Ich gebe zu, ich neige dazu zu rasen. Ich lasse mich nicht durch Geschwindigkeitsbegrenzungen aufhalten, höchstens durch die Motorleistung meines Fahrzeugs.
Dieses Verhalten hat mir auch schon die ein oder andere Zahlungsaufforderung ins Haus flattern lassen und mir Einträge beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg beschert. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mein erster Eintrag allerdings auf einem anderen Vergehen und nicht auf zu schnellem Fahren fußt.
Ich war gerade mit einem Freund auf dem Weg nach Hause. Ich war über diese Ampel sicher schon 1000 Mal gefahren, gut, 990 Mal davon als Beifahrer. Zu dem Zeitpunkt hatte ich meinen Führerschein noch nicht allzu lang. Irgendwie, ich weiß nicht mehr, warum, sicher nicht mutwillig, in der Stellungnahme gab ich an, in der Sicht durch einen LKW behindert worden zu sein und nicht mehr richtig bremsen zu können, schaffte ich es, über die Ampel zu fahren, nachdem sie 1,8 Sekunden zuvor auf rot gesprungen war. Soweit ich weiß, liegt die Toleranz bei einer Sekunde. Ich nahm fast die doppelte Zeit in Anspruch.
Was folgte, lässt sich ganz einfach mit der Zahl 4 umschreiben. 4 Jahre Probezeit (2 zusätzliche Jahre brummte man mir auf), 400 Mark Bußgeld, 4 Punkte in Flensburg und 400 Mark für die Nachschulung. Das einzige, was mir erspart blieb, waren die 4 Wochen Führerscheinentzug. Darüber war ich auch sehr froh.
Für diejenigen, die es nicht wissen oder die zu Zeiten ihren Führerschein gemacht haben, als man von Probezeit nur träumen konnte, hier ein paar Worte zur Institution Nachschulung. Begeht ein Autofahrer während der Probezeit einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung, die mit Bußgeld (im Gegensatz zum Verwarnungsgeld) geahndet wird, ist er verpflichtet, an einer Nachschulung teilzunehmen. Sonst droht Führerscheinentzug! Wer will das schon. Dazu trifft man sich fünf Mal mit anderen reuigen (?) Sündern zu zweistündigen Sitzungen, um über das Verhalten im Straßenverkehr im Allgemeinen und über die Vergehen der Einzelnen im Speziellen zu sprechen. Man kann sich das ähnlich einer Selbsthilfegruppe vorstellen. Nur lässt sich hier niemand freiwillig helfen. Der zweite Bestandteil ist eine Fahrprobe. Die Betonung liegt auf Probe, denn hier wird nicht über die Eignung entschieden. Sie dient lediglich Beobachtungszwecken. Jeder kann fahren wie er will. Das habe ich natürlich sogleich ausgenutzt. Es war toll, gleich drei Mal so viel PS unterm Arsch zu haben wie im eigenen Auto.
Wir waren schon ein lustiger Verein dort. Neben dem ewig Witze reißenden, ewig jungen, kettenrauchenden, stark klischeebehafteten Fahrschullehrer mit seinem Norwegerpulli und seinen ausgebeulten Hosen tummelten sich dort Jungs, die mit 121 km/h auf der Autobahn, 80 in einer Ortschaft oder ohne gültiges Nummernschild am Moped erwischt wurden. Die Damen hielten es eher mit Auffahrunfällen oder nicht beachteter Vorfahrt. Die einzige rote Ampel war ich.
Mit jedem Treffen wuchs unsere Gruppendynamik, wir bekamen Kaffee, soviel wir wollten (immerhin etwas für den Preis) und Keksmischungen, bei denen immer alle die mit dem Klecks Marmelade essen wollen und die trockenen Waffeln am Ende liegen bleiben, weil sie keiner mag. Zum letzten Treffen brachte sogar jemand Kuchen mit und wir feierten gemeinsam den Geburtstag der missachteten Vorfahrt. Mit einigen Leuten, die ich dort kennen gelernt habe, habe ich noch heute Kontakt. Es ist also gar nicht die schlechteste Möglichkeit, durch zu schnelles Fahren neue Menschen zu treffen. Aber sicherlich gibt es kostengünstigere.

Mittwoch, 6. September 2006

Infa 2006

Dieser Tage säumen wieder einmal Ankündigungsschilder für die Infa (nicht zu verwechseln mit der Ifa) die Landstraßen. Von der Erlebnis- und Einkaufsmesse ist dort die Rede. Im üblichen Sprachgebrauch firmiert die Infa in dieser Gegend allerdings als Hausfrauenmesse.
Als ich das erste Mal in diesem Jahr die Plakate erblickte, kamen mir die Erinnerungen an meine Besuche der Hausfrauenmesse wieder ins Gedächtnis. Der erste liegt schon eine ganze Weile zurück und muss in dem Alter stattgefunden haben, als ich mir gerade die Welt der Zahlen und Buchstaben erschloss. Meine Mutter erstand seinerzeit einen elektrischen Fusselentferner, mithilfe dessen sie die hässlichen Wollverknotungen von den selbstgestrickten Pullovern meines Vaters einfach abrasieren konnte. Außerdem weiß ich, dass an jedem Messestand kleine Becher mit Suppe und Schnittchen wohl feil geboten wurden, bei denen man sich nach Herzenslust bedienen konnte.
Mein zweiter Besuch der Hausfrauenmesse fand im Jahr der Expo in Deutschland statt. Einige Informierte werden sich erinnern: das war im Jahr 2000. Einige Bahnreisende, die es bis vor ein paar Wochen mal nach Hannover verschlagen hat, werden wissen, dass die Expo genau dort stattgefunden hat, weil sie mit den netten Worten ’Willkommen in der Expo- und Messestadt Hannover. Ihre nächsten Reisemöglichkeiten’ am Bahnsteig begrüßt wurden. Es würde mich nicht wundern, hätten sie sich gewundert, dass auch noch fast sechs Jahre nach der Expo noch immer darauf hingewiesen wird. Aber zurück zur Hausfrauenmesse.
Ich fuhr mit vier Freunden dort hin. Der Vater meines Freundes Walter (Freund, nicht Freund) hatten seinen uralten, verlotterten, ranzigen grausilberfarbenen Opel Kadett, Baujahr 1897 1987 zur Verfügung gestellt. Trotz wochenlanger, vorausgegangener Planung trat ich diesen Ausflug äußerst schlecht vorbereitet an. Am Abend zuvor hatte ich Bananenweizen und Pernod-Cola gefrönt und zwei Stunden Schlaf hatten meinen Blutalkoholspiegel nicht wesentlich gesenkt. Aber ich war guter Dinge und freute mich auf die bevorstehende Degustation Ausstellung. Die Autofahrt jedoch spielte mir einen bösen Streich. Mein Magen ging mit Walters Fahrweise nicht ganz konform. Zwei Mal bat ich ihn anzuhalten um austreten zu können. Zwei Mal war mein Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt. Fast hatten wir unser Ziel erreicht, da war es soweit. Ich konnte meinen Körper nicht länger unter Kontrolle halten und folglich ergoss sich mein Mageninhalt über das Fenster und den Lack der hinteren Tür. Was bei meinen Mitfahrern für heiteres Gelächter sorgte, führte bei Walter zu Bedenken ob möglicher Lackschäden ausgelöst durch meine Magensäure. Jeder, der sich bereits einmal nach dem exzessiven Alkoholkonsum Alkoholgenuss ausgekotzt erbrochen hat, wird mich verstehen: ich fühlte mich wie neu geboren!
Bereit zu allen Schandtaten schenkte ich dem Ereignis keine weitere Beachtung, sondern stürzte mich voller Vorfreude ins Getümmel. Mit besonderer Freude schlug ich mir den Magen mit den besagten Schnittchen, Süppchen, Kaltgetränken, Heißgetränken, Brotaufstrichen, Kekschen, Käschen und Würstchen voll. Das war es, was ich nach der letzten Nacht brauchte und was einem bösen Kater vorbeugen würde. Nach unzähligen Stunden auf der Messe und unermesslichen Pfunden kostenloser Häppchen traten wir die Heimreise an. Sobald wir den Parkplatz verlassen hatten, schrumpfte mein Wohlbefinden zur Rosine. Ich bat Walter, etwas langsamer zu fahren und nicht so hart zu schalten. Aber auch seine versucht rücksichtsvolle Fahrweise trug zu keiner Besserung bei. All das kostenlose Essen, das ich an jeder Ecke nachgeschmissen bekam mühselig zusammen geklaubt hatte, verblieb nicht länger in meinem Magen, sondern suchte den schnellsten Weg nach draußen. Die Magensäure vom Vormittag hatte wider Erwarten noch kein faustgroßes Loch in den Lack und die Türverkleidung gefressen, sondern bekam statt dessen Verstärkung.
Rückblickend war Walter froh, nicht schon nach der ersten Attacke eine Waschanlage aufgesucht zu haben. So musste er nur einmal das Fahrzeug von Speiseresten und Mageninhalt befreien. Darin hatte er bereits Übung, musste er doch schon einmal das Erbrochene eines Mitschülers aufwischen, nachdem er so freundlich gewesen war, einen Eimer zu besorgen.
Ich werde Walter mal anrufen und fragen, ob er mit mir zur Infa fährt.

Der Mann, der lächelte

Heute morgen habe ich ihn wiedergesehen. Morgen ist es zwei Wochen her, dass ich ihm das letzte Mal begegnet bin. Trotzdem kommt es mir vor, als sei es gestern gewesen.
Als der Platz frei wurde, setzte er sich mir gegenüber. Ich nutzte die Gelegenheit, ihn ein wenig genauer zu betrachten, um Details auszumachen.
Um seine schmalen Lippen spielte ein Lächeln, so, als sei er ganz in Gedanken versunken. Wohl bei einer schönen Erinnerung an das letzte Wochenende. Wie er mit seinen Kindern über den Maschsee gesegelt ist.
Seine Nase wirkt einen Tick zu groß, passt aber wunderbar zu seinen charismatischen Augenbrauen. Seine Ohren sind klein. Sie fallen kaum auf. Auf seiner Stirn zeichnen sich horizontal mehrere tiefe Furchen ab, ob er sie zu oft in Falten legt. Auch heute wieder verknoteten sich seine langen, markanten Finger während er, den Blick aus dem Fenster gerichtet, seinen Gedanken nachhing.
Als ich ausstieg, schenkte er mir erneut sein bezauberndes Lächeln. Ich bilde mir ein, dass es einen Augenblick länger andauerte als das letzte Mal.

Dienstag, 5. September 2006

Outing

Bis vor ein paar Jahren dachte ich, ich würde niemanden kennen, der sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Das fand ich erstaunlich, zumal die Wahrscheinlichkeit, dass jemand homosexuell ist, besteht und nicht so gering ist. Klar variiert das und in einer provinziellen Kleinstadt wird die Wahrscheinlichkeit geringer ausfallen, trotzdem war ich lange Zeit der Meinung, niemand in meiner näheren Umgebung sei schwul oder lesbisch.
Ich wurde eines besseren belehrt.
Nicht immer haben die Männer, es waren immer Männer, bis heute weiß ich von keiner Bekannten, dass sie lesbisch ist, es mir direkt gesagt.

Mein erster schwuler Freund: ein Klassenkamerad berichtete mir, dass der Konrad jetzt einen Freund hätte. Ich war überrascht. Es war doch noch gar nicht so lange her, dass Konrad mir die Zunge in den Hals gesteckt hatte. Hm, damit war jetzt wohl Schluss.

Mein zweiter schwuler Freund: wir wollten abends zusammen um die Häuser ziehen. Weil er außerhalb wohnte, bot ich ihm an, bei mir zu übernachten. Ich sagte zu ihm: "Das Bett ist groß genug. Nur für den Fall, dass Dir einer, äh, eine gefällt und Du ihn mit nach Hause nehmen willst." Er schaute mich erst verdutzt, dann verärgert an und fragte mich, wer geplaudert hätte. Ich war ganz überrascht. Mit meinem Freud'schen Versprecher hatte ich voll ins Schwarze getroffen.

Mein dritter schwuler Freund: als ich neu in die Firma kam, war er der erste, der ernsthaft Interesse an mir bekundete. Wir gingen gemeinsam in die Kantine und verbrachten viel Zeit nach Feierabend miteinander. Sogar eine Reise über das Wochenende planten wir. Er war ein ganz lieber, netter Kerl und sah dazu noch verdammt gut aus. Als wir eines Abends in einem Club waren, schrie ich ihm ins Ohr, dass ich noch keinen hübschen Typen gesehen hätte an dem Abend. Er: "Nein, ich auch nicht." Ich: "Und was ist mit den Frauen?" Er: "Die guck ich nicht an." Ich: "Hä?" Er: "Na, ich bin doch schwul." Gut, dann würde das wohl nichts mehr mit uns werden. Schade
eigentlich.

Mein vierter schwuler Freund: mit ihm bin ich zusammen zur Schule gegangen. Ein Mädchen aus der Stufe war seit der siebten Klasse hoffnungslos in ihn verliebt, aber vergeblich. Er ließ sie immer wieder abblitzen. Nach dem Abitur begann er eine Ausbildung zum Schiffsbauer und segelt seitdem um die Welt. Vor kurzem sagte mir eine Freundin: "Du, der Manfred ist schwul. Er hat sich geoutet und möchte, dass es alle wissen." Ist es ein Vorurteil, wenn ich sage, ich hätte es damals schon gewusst?

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