Dienstag, 22. August 2006

Blind Date II

Ich bin wahnsinnig aufgeregt. Mein Magen dreht sich und verkündet Schmerzen als hätte ich drei Tafeln Schokolade in weniger als 10 Minuten verspeist.
Er wird sich verspäten. Weitere 15 Minuten der Spannung. Wie wird er sein? Werde ich ihm gefallen? Er teilt mir per SMS mit, er werde im braunen Shirt erscheinen. Ich scanne jeden Mann in meiner Umgebung nach brauner Oberbekleidung. Meine Gedanken fliegen durcheinander. Könnte es der sein? Bitte nicht! Oder er? Oh nein! Vielleicht der dort drüben? Warum nicht!
Als er zielstrebig am vereinbarten Treffpunkt auf mich zu kommt, weiß ich sofort, dass er es ist. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen und doch muss er es sein. Er schließt mich in die Arme und mein Herzschlag beschleunigt ein weiteres Mal. Endlich endlich ist es soweit. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet. Wie sehr hatte ich mir eine Enttäuschung auszureden versucht. Ich wollte nicht enttäuscht werden. Ich wollte, dass es so wird, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Umarmung fühlt sich richtig an. Er fühlt sich richtig gut an. Perfekt.

Donnerstag, 17. August 2006

anstarren

Ich habe einen Fan. Das ist noch nett ausgedrückt. Ich könnte ihn auch Verehrer, Stalker, Verrückter oder Verliebter nennen.
Seine genauen Beweggründe kenne ich nicht. Wie ich darauf komme? Ich habe das Phänomen in letzter Zeit häufiger beobachtet und heute ist es wieder passiert. Ich kenne diesen Mann. Wenn man in einem Ort mit überschaubarer Einwohnerzahl aufwächst, kennt man sich. Er ist eine dieser gescheiterten Existenzen am Rande der Gesellschaft, die es in jedem Dorf und in jeder Stadt gibt. Ein Milieu, geprägt von Alkoholkonsum, Gewalt, Mangel an Bildung, Mangel an Kultur. Es sind Menschen, die sich in ihr Schicksal ergeben und kein Interesse daran haben, irgendwo integriert zu werden. Sie leben ihr Leben. Sie leben auf der anderen Seite. Manchmal werden sie belächelt, doch meist werden sehen sie sich mit abfälligen Blicken und Bemerkungen konfrontiert.
Der Mann, den ich meine, entstammt eben diesem Milieu. Eine kinderreiche Familie, einer seiner Brüder ging für ein paar Jahre in die gleiche Klasse wie ich. Das soll keine Wertung sein. Nur eine Erklärung, um ihn sich besser vorstellen zu können. Soweit ich das sehe, geht er einem geregelten Broterwerb nach. Ich schätze, er arbeitet in einer Gärtnerei. Das schließe ich auch seiner grünen Latzhose. Außerdem begegne ich ihm tagtäglich im Zug. Dort habe ich auch meine Beobachtung gemacht. Richtig sollte es heißen: dort macht er seine Beobachtungen. Er beobachtet mich. Er sieht mich an und lässt sich darin durch nichts irritieren. Nicht einmal, wenn ich zurück starre schaue, wendet er den Blick ab. Einmal saß er in einer Reihe schräg vor mir. Dort wandte er sich um und ließ seine Augen auf mir ruhen.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. So, wie man sich an eine Schürfwunde oder an den Verlust des Führerscheins gewöhnt. Man gewöhnt sich daran, aber man empfindet es nicht als angenehm.

Mittwoch, 16. August 2006

Mein letztes Blind Date

Eigentlich sollte dieser Beitrag erst 'Mein erstes Blind Date' heißen. Aber das liegt so lange zurück war so belanglos, es lohnt nicht, darüber ein Wort zu verlieren.

Das Telefon klingelte und nichtsahnend griff ich zum Hörer.
"Hallo, hier ist Helmut." (wir nennen ihn jetzt einfach mal Helmut)
"Ja?" Am Tonfall musste er erkennen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wer er war.
"Du hast mir Deine Telefonnummer hinter den Scheibenwischer geklemmt."
Ich hatte was? Ich hatte zwar manchmal komische Ideen und ein paar Gedächtnislücken aufzuweisen, aber das?
"Nee", sage ich, "das habe ich ganz bestimmt nicht."
"Aber ich habe Euch doch noch gesehen, Dich und Deine Freundin."
Ratter Ratter. Ich wusste noch immer nicht, was der Typ von mir wollte. Mir eine Heizdecke verkaufen? Am Telefon?
"Wann und wo? Was sagtest Du?"
"Letzten Donnerstag. Im Parkhaus am Schauspielhaus."
So langsam begriff ich.
"Ach ja, ich weiß. Ja, das war aber nicht ich. Das waren meine Freundinnen. Die haben mir wohl einen Streich gespielt."
Nachdem dieses Missverständnis geklärt war, ich musste sicher ein Dutzend Mal beteuern, dass nicht ich es war, die ihm die Nummer zugeschoben hatte, und wir ohnehin schon per Telefon verbunden waren, führten wir unser Gespräch weiter. Helmut war ein ausgezeichneter Gesprächspartner. Auch in den nächsten Tagen verabredeten wir uns immer wieder zum Telefonieren. Helmut beschrieb sich mir in den schillernsten Farben: Medizinstudent, finanziell abhängig von Vati unabhängig, erfolgreich und und und. Da er auf mich einen sehr netten Eindruck machte, schlug ich ein Treffen nicht aus.
Er hatte sich mir als eine Mischung aus Silvester Stallone und Al Pacino beschrieben. Gut, Al Pacino gefiel mir als junger Michael Corleone recht gut. Was sollte schon schief gehen?
Als Helmut mir dann am vereinbarten Treffpunkt gegenüber trat, dachte ich, ich seh nicht richtig. Das war Al Pacino zu heiß gewaschen und Silvester Stallone als Rocky nach der 6. Runde kurz vor dem K.O. Ich bückte mich zu ihm herunter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. In Gedanken sah ich mich schon wieder im Auto auf dem Weg nach Hause. Aber ich sagte mir: Flucht nach vorn.
Wir gingen in eine Bar und das Flair der vergangenen Tage war wie weggeblasen. Was da vor mir saß, war ein viel zu klein geratener Ichweißauchnicht mit viel zu speckiger Lederjacke und viel zu Ali-Baba-mäßigen Schuhen. Das Gespräch plätscherte so vor sich hin und ich war froh, als wir den Weg zum Kino einschlugen. Da musste man wenigstens nicht sprechen.
Spätestens, als ich nicht grob, aber bestimmt Helmuts Hand von meinem Knie nahm, um sie wieder auf seinem eigenen Bein zu platzieren, war mir klar, dass ich meine Abneigung wohl nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht hatte. Da halfen nur noch klare Worte.
Zum Abschied sparte ich mir das "Ich melde mich bei Dir." und beließ es bei einem "Schönen Abend noch." Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Am Freitag habe ich wieder ein Blind Date. Es kann nur besser werden.

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