Donnerstag, 2. November 2006

Joseph Ackermann

Meine Tüte hatte mich verraten.
"Arbeiten Sie bei SAP?"
"Nein, ich arbeite bei einer Firma, die mit SAP kooperiert. Da muss ich mich mit dem Produkt auskennen."
Ich steige aus und verlasse den Bahnhof.
"Ja, ich habe das so ein bisschen mitverfolgt. Den Aufstieg von SAP und so. Wie der Börsenkurs in die Höhe schnellte. Das lag sicher auch an der Zusammenarbeit mit uns." *zwinker*
"Wo arbeiten Sie denn?"
"Du kannst mich ruhig duzen."
"Moment, Du hast damit angefangen. Also wo arbeitest Du denn?"
"Bei der Deutschen Bank."
Komisch, denke ich. Der erste Mitarbeiter der Deutschen Bank, einer Bank überhaupt, den ich sehe, der nicht im Anzug, sondern, Achtung, in Jeans, Turnschuhen und einer quietschblauen Motorradjacke vom Polenmarkt mit falschen Aufnähern (auf der Brust prangt in riesigen Lettern in der Aufmachung des 'Castrol' Labels das Wort 'Classic') zur Arbeit geht. Kein Kundenkontakt, denke ich. Vielleicht IT.
Er sieht schon ein bisschen prototypenhaft aus mit seinen kurz geschorenen Haaren, den blondierten Spitzen und dem leicht debilen Gesichtsausdruck.
Meine Neugier kann ich nicht länger zügeln.
"Was machst Du denn bei der Deutschen Bank?"
"Personenschutz."
Aaaalles klar. Jetzt weiß ich, wo der Frosch die Locken hat. Er fängt an, mir davon zu erzählen, wie er früher sieben Stunden am Tag trainiert hat. Selbstverteidigung, Krafttraining. Das ganze Programm.
"Du hattest wohl keine Freunde, was?!" Die Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen.
Die hätten alle mittrainiert, meint er.
Dann geht er zum Thema Frauen über.
"Dich würde ich heute nicht von der Bettkante stoßen. Hast Du nicht Lust, heute mit mir nach Hause zu kommen?"
Er imitiert eine Frauenstimme. Diese hohe Stimmlage in Kombination mit dem ohnehin schon furchtbar klingenden Südhessisch legt die Vermutung nahe, diese Angebote hätte er abgelehnt, weil er mit Frauen einfach nichts anzufangen weiß.
"Da denk ich mir manchmal echt: wollen die alle nur Deinen Körper? Gibt es keine Frau, die meinen Charakter interessiert?"
Unter uns: so doll war der Körper nicht.
So geht es munter weiter. Unterdessen wandert mein Blick immer wieder zur Anzeigetafel. Aber die Minuten bis zur Ankunftszeit von meinem Bus werden nicht weniger, sondern immer mehr! Verfluchter 1. November aber auch.
"Musst Du auch noch mit dem Bus fahren oder wie kommst Du jetzt nach Hause?"
"Meine Mutter holt mich gleich ab."
Meine Fresse, es wird nicht besser!
"Oh, da kommt mein Bus. Also ich muss dann mal. Bis dann."
"Warte. Kann ich Deine Handynummer haben? Ich könnte Dir mal Darmstadt zeigen."
"Wir sehen uns bestimmt mal wieder. Ciao."
Hoffentlich nicht!

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