Begegnungen

Donnerstag, 12. Oktober 2006

H Bus

Menschen, die schon einmal mit mir im selben Bus oder Zug gefahren sind, natürlich, ohne mit mir gemeinsam zu fahren, werden es bestätigen können. Wenn ich in genanntem Bus oder Zug nicht gerade in ein Buch vertieft bin, sondern lediglich der Musik in meinen Ohren lausche und dabei meine Umgebung im Allgemeinen und meine Mitmenschen im Speziellen sondiere, kommt es schon mal vor, dass ich mit jemandem der Mitreisenden flirte. Das sieht dann in der Regel so aus, dass ich immer wieder verstohlen und doch auffällig genug den Blickkontakt desjenigen welchen suche und immer wieder versuche, Blicke zu provozieren und festzustellen, ob derjenige welche auch empfänglich ist für Aufmerksamkeiten dieser Art. Dieses Hin und Her mündet dann meist in einem herzlichen Lächeln, das ich demjenigen schenke, wenn ich den Bus oder Zug verlasse. So entgehe ich weiteren eventuell en Folgen. Das Wichtigste dabei ist, dass ich das Spiel vorgebe. Ich diktiere die Regeln und ich bestimme, wie der Ablauf gestaltet wird.
Ganz anders heute. Vom Tag völlig dahin gerafft, froh, bald das rettende Zuhause zu erreichen, lasse ich mich nur noch in den Sitz plumpsen, Laptoptasche (das Monstrum!) auf den Schoß, das war’s. Nicht unansehnlich, der Herr dort an der Tür. Blond. Schelmisch blitzende Augen. Athletische Figur, eher Leichtathlet als Leistungsschwimmer. Ein fieser Zug um den Mund. Eine sehr gute Freundin würde den Ausdruck ’verwegen’ verwenden.
Wie zufällig streife ich ihn immer wieder mit meinem Blick. Dann das. Er grinst mich unverhohlen an. Wir sind doch gerade erst angefahren. So läuft das aber nicht! Ich kann nicht anders als zurück zu grinsen. Kurz darauf weiß ich gar nicht mehr wohin mit meinem Blick. Aus dem Fenster, auf meine Finger, die schon längst nicht mehr im Rhythmus auf die Tasche trommeln, an ihm vorbei, nur nicht wieder zu ihm sehen. Ich merke genau, wie sein Blick auf mir ruht und wie er noch immer lächelt. Die nächste Haltestelle. Sicher wird er aussteigen. Ich kann einen weiteren Blick riskieren. Augenbrauen hoch. Daumen in Richtung Tür. Aussteigen? Kopf zum Fahrer nickend, Daumen in Fahrtrichtung. Nein, ich fahr weiter.
Der Bus hält und er setzt sich neben mich.
„Wie wär’s, wenn wir uns mal treffen?“
Sehr direkt, der gute Mann. Ich bin verblüfft, gleichzeitig beeindruckt. Geschmeichelt sowieso.
„Warum nicht? Wenn ich die Zeit dazu finde.“
Das ist keine Ausflucht, das ist die Wahrheit. Ich erkläre ihm meinen straffen Zeitplan derzeit. Er zeigt Verständnis.
„Hier ist meine Nummer. Ruf an.“
Noch ein Lächeln, weg ist er.

Donnerstag, 28. September 2006

Spielerfrau

Bizarr war, dass wir uns über meinen Freund kennen lernten. Der ging zu ihm und fragte ihn, ob er ein Autogramm für seine Freundin, genau, das war ich, haben könne. Tags waren mein Freund und ich gemeinsam im Stadion gewesen und hatten uns den ersten Heimsieg der Saison angesehen. Nun also feierte ein Teil der Mannschaft hier bei uns in der Provinzgroßraumdisco.
Bereitwillig gab er das Autogramm, natürlich nicht, ohne wissen zu wollen, für wen es denn sei. Ich sah, wie mein Freund auf mich deutete und lächelte ihn verlegen an. Mein Freund war ganz aus dem Häuschen! Autogramme gekritzelt auf das Blatt eines Kellnerblocks! Ich teilte seine Euphorie nicht gleichermaßen angesichts dieser Kugelschreiberstriche, die auch ich ihm hätte malen können. Trotzdem fand ich es auf eine Weise aufregend, hier jemanden neben mir sitzen zu sehen, den ich sonst nur aus ran oder aus dem Stadion kannte.
Als die Jungs aufbrachen, ging er wie zufällig an mir vorbei und steckte mir einen weiteren Zettel zu. Dieses Mal mit seiner Telefonnummer drauf. Unauffällig ließ ich das Blatt Papier in meiner Gesäßtasche verschwinden.
Wenige Tage später ging mein Freund zurück ans andere Ende der Republik, wo er studierte. Ich hatte natürlich nichts besseres zu tun als meinen Fußballer zu kontaktieren. Er wolle mich gern wiedersehen, sagte er und lud mich ein, am kommenden Sonntag mit ihm bei Freunden zu essen. Ich sagte zu.
Sonntag Mittag holte er mich ab. Wir redeten über alles mögliche und ich versuchte, ein paar Informationen aus ihm herauszulocken. Wie stand es um sein Gehalt. Wechselabsichten. Die Querelen in der Geschäftsführung. Aber er hielt sich sehr bedeckt. Der besagte Freund entpuppte sich als Mannschaftskollege. Die Spieler flatterten nur so zur Tür hinein wie sonst nur Skatkarten bei 32. Heb auf. Ich genoß das Essen und die entspannte Atmosphäre. Immer wieder legte meine Begleitung ihren Arm um mich und küsste mich auf die Wange. Nicht unangenehm.
Ein paar Tage später lud er mich erneut zum Essen ein. Dieses Mal fuhren wir zu ihm. Sein Penthouse lag in einem modernen Neubau am Rande der Stadt. Es war exquisit eingerichtet und doch kühl. Nirgendwo persönliche Gegenstände. Alles wirkte zu sehr wie Hotelzimmer. Nach dem Essen setzten wir uns aufs Sofa und redeten und redeten. Er setzte sich zu mir und legte seinen Arm um mich wie er es schon so oft zuvor getan hatte. Dieses Mal aber war es anders. Fordernder.
Er drückte mich auf die Couch und legte sich auf mich. Dann presste er seine Lippen auf meine. Es war merkwürdig. Zwar war er ein netter, liebenswerter Mann, aber das gefiel mir überhaupt nicht. Ich versuchte ihn wegzustoßen und sagte ihm, er solle das lassen. Aber er belächelte mich nur. Wohl dachte er, das gehöre zum Balzspiel dazu. Ich wurde wirklich wütend, war aber körperlich unterlegen und konnte gegen ihn nichts ausrichten. Irgendwann ließ er dann doch von mir ab und fragte, was denn los sei. Ich sagte ihm, dass ich das nicht wolle, weil ich mich nicht zu ihm hingezogen fühlte. Ich verabschiedete mich und ging.
Wir haben uns danach nicht wiedergesehen. Er hatte kurze Zeit später eine Freundin und noch kürzere Zeit später ein Kind mit ihr. Durch die Yellow Press ging er, weil er sie erst vertrümmte und sich nach der Trennung weigerte, Unterhalt zu zahlen. Da bin ich meinem Schicksal nochmal von der Schippe gesprungen.

Freitag, 22. September 2006

asexuell

"Das konnte Dein Vater sehr gut. Mich am Telefon heiß machen. 'Ich streichle Deinen Venushügel. Ich berühre Deine harten Brustwarzen...' Hach..."

Mama! Ich will das nicht hören!!

Dienstag, 19. September 2006

SMS

Das erste Mal begegneten wir uns zu Beginn des neuen Semesters. Ich hatte mich bereit erklärt, die neuen Studenten zu betreuen und ihnen beim Einstieg an der Hochschule zu helfen. Er war einer dieser Studenten und fiel mir sofort auf. Schon äußerlich hob er sich enorm von diesem uniformierten Barbourjacke-Polohemd-Cordhose-Timberlands-BWL-Brei ab.
Langes Haar, Piercings, schwarze Kleidung. Das gab es hier einfach nicht. Schnell kamen wir ins Gespräch und stellten fest, dass wir kaum zehn Autominuten voneinander entfernt wohnten. Er lud mich ein, mal bei ihm und seinem Mitbewohner vorbeizuschauen. Dann würde er mich auch gleich ein paar Demotapes der Band vorspielen, in der er sang. Gesagt, getan.
Ich fühlte mich, genau wie in seiner Gegenwart, gleich wohl in seiner Wohnung, deren Erscheinungsbild geprägt war von persönlichen Erinnerungsstücken und Huldigungen seiner bevorzugten Musikgruppen. Wir saßen im Wohnzimmer, tranken Pils und redeten über Gott und die Welt. Er war ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Weil ich nicht mehr fahren konnte, bot er mir an, bei ihm zu übernachten. Es kam, wie es kommen musste, Wir küssten uns, wir entkleideten uns. Ganz unvermittelt aber zog er sich zurück und sagte mir, dass er das nicht könne. Er sei in eine andere Frau verliebt und hätte deshalb nicht den Kopf frei, sich auf mich einzulassen. Ich war einttäuscht, auch ein bisschen traurig, aber ich akzeptierte seine Entscheidung.
In den nächsten Wochen wurden wir ein Herz und eine Seele. Alles unternahmen wir gemeinsam, überall gingen wir zusammen hin. Das funktionierte so lange bis ein Freund von ihm begann, sich für mich zu interessieren. Mir ging es ähnlich und so entfernten wir uns immer weiter voneinander bis wir schließlich gar nichts mehr miteinander unternahmen, geschweige denn noch miteinander sprachen.
Vor kurzem dann bekam ich eine SMS von ihm. Er fragte, ob wir nicht etwas zusammen machen wollten. Es sei schade, dass 'man sich eine Zeit lang aus dem Weg gegangen sei'.
Ich freute mich, von ihm zu hören. Verstanden habe ich es nicht.

edit/ Gerade bekomme ich eine SMS. "Du, das wird heute leider nix. Bekomme das zeitlich nicht alles unter einen Hut. Falls sich doch noch was ergeben sollte, melde ich mich. Sorry." Was er meint: Falls sich keine andere Frau finden sollte, melde ich mich.
Ach wie Schade!

Donnerstag, 14. September 2006

Neulich im Buchladen

"Entschuldigung."
Ich suche mir eine unauffällig, aber nett aussehende Mitarbeiterin aus. Männer, die auf unauffällige, nett aussehende Frauen ohne Arsch und ohne Titten stehen, wären bei ihr genau an der richtigen Adresse.
"Ich suche ein Buch, aber mir fällt der Name des Autors nicht mehr ein. Saša irgendwie."
"Wissen Sie denn den Titel?"
"Der ist mir auch gerade entfallen. Aber das Buch ist dieses Jahr für den deutschen Buchpreis nominiert."
"Ah! Augenblick. Hella, weißt Du, wer dieses Jahr für den deutschen Buchpreis nominiert ist?"
Hella, mittleren Alters, das Gegenteil von attraktiv, versprüht schon von weitem den Gedanken „Servicewüste Deutschland“.
Kläfft: "Das sind doch eine ganze Reihe."
Ich klugscheiße: "Es ist unter den letzten sechs Nominierten."
Hella zuckt mit den Schultern und zieht ab. Die junge Unauffällige hat eine gute Idee.
"Wir können das aber gern im Internet nachschauen."
"Super! Ich weiß auch, wo es steht. Geben Sie mal ein: Bandini, Punkt, twoday, Punkt, net."
Sie tippt ein: www.bambini.today.net
"Nein nein", sage ich, "twoday mit 'w' bitte. Das ist eine abgewandelte Schreibweise."
"Echt?" Erstaunen in ihrer Stimme. "Aber keine offizielle, oder?"
Das habe ich jetzt nicht gehört!
"Bambini war aber richtig?"
"Nein, Bandini. B-A-N-D-I-N-I."
Mit ihrem Zweifingersuchsystem und einer Tippgeschwindigkeit, die das Blut in mir hochkochen lässt und mich stark an mich halten lässt, um ihr die Tastatur nicht aus den Händen zu reißen, wagt sie einen zweiten Versuch.
'The requested URL could not be retrieved.'
"Das geht nicht."
"Lassen Sie das ‚www’ mal weg, dann geht das schon."
Wieder die bekannten Tippfehler. Dieses Mal heißt es 'towday'. Alles nicht so einfach.
"Lassen Sie mich mal." Meine Beherrschung ist dahin. Ich dränge sie zur Seite und bezwinge den Computer. Das wäre ja noch schöner, wollte sich die Technik zwischen mich und den Lesegenuss stellen.
"Ah, da ist es. Saša Stanišić: 'Wie der Soldat das Grammofon repariert.'."
Still lacht sie in sich hinein.
"Komisch sieht das aus. Grammofon mit f."
Ja, denke ich. Genauso komisch wie towday mit w.

Mittwoch, 13. September 2006

Ein Amerikaner in England

Zum ersten Mal begegnet sind wir uns in einem Meeting. Ich hielt ihn für einen Landsmann angesichts seines deutsch anmutenden Namens. Sobald er aber den Mund aufmachte, war mir klar, dass er Amerikaner war. Groß gewachsen, breite Schultern, strahlend weiße Zähne. Mir gefiel seine sympathische Ausstrahlung, wenngleich er ein wenig ernst erschien.
Dass dem nicht so war, merkte ich spätestens in der darauffolgenden Woche, als wir uns zum so called socialising in einem Pub trafen. Daniel blühte richtig auf. Er witzelte, schlug seinem Gesprächspartner nach einem Spaß auf die Schulter und versprühte eine unglaublich lebhafte Energie.
Da wir gezwungen waren, sehr eng zusammen zu arbeiten, entwickelte sich zwischen uns eine Freundschaft. Ja, so kann man es nennen. Wir entdeckten unsere gemeinsame Vorliebe für Musik und gingen regelmäßig zu Konzerten und Gigs lokaler Bands. An den Wochenenden fuhren wir nach London. Dabei entdeckten wir die Londoner Gastronomie für uns. Allzu oft gingen wir in eine Sushi Bar am Hanover Square unweit der Oxford Street. Weil er nur eine Straße weiter wohnte, fuhren wir alltäglich zusammen ins Werk. An den Wochenenden frühstückten wir gemeinsam im Büro Whopper und Milchshakes.
Je länger wir uns kannten und je näher das Ende des Projektes rückte, desto öfter trafen wir uns auch außerhalb der Arbeit. Nach ein paar Bier mit unserem gemeinsamen Chef traten wir zusammen den Heimweg an. Er lud mich ein, noch einen Scheidebecher bei ihm zu trinken. So stand ich das erste Mal in seiner Küche und er zeigte mir Bilder von seinem Haus, seinen Eltern, seinen Geschwistern. Ich wusste, wie sehr er das alles vermisste. Bis auf die Sprache war für ihn in diesem Land alles genauso fremd und anders wie für mich. Ich sah in seine von langen Wimpern umrahmten, braunen Knopfaugen, in die ich schon so oft gesehen hatte. Bevor ich realisierte, was geschah, küsste er mich. Er küsste mich obwohl er genau wusste, dass sich in wenigen Tagen unsere Wege vielleicht für immer trennen würden. Ich wehrte mich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich genoss die Vertrautheit zwischen uns.
Als wir ein paar Tage später Abschied nahmen, scherzte er wie üblich.
‘Try to stay out of trouble, Trouble.’
Trouble. So nannte er mich. Ich erinnere mich nicht, dass er je meinen richtigen Namen benutzt hätte. Seine Augen waren glasig. Das letzte, was ich wahrnahm bevor er sich zum Gehen wandte.
Ich habe ihn nie wieder gesehen. Noch nicht.

Samstag, 9. September 2006

Gerüche

Ich sah ihn mir auf dem Rad entgegen kommen. Ich befürchtete das Schlimmste. Seine Kleidung war abgerissen, löchrig an manchen Stellen. Er war unrasiert, trug eine Schirmmütze. Seine ganze Erscheinung wirkte ungepflegt und ich erwartete eine Wolke von Alkohol, ungewaschener Kleidung, Urin und Schweiß, die an mir vorbeiziehen würde. Aber nein. Die Überraschung war groß als ich im Vorbeigehen einen Duft wie gerade frisch geduscht wahrnahm. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Diese Begegnung erinnerte mich daran, wie wichtig Gerüche schon immer für mich waren. In dieser Hinsicht trage ich einen kleinen Jean-Baptiste Grenouille in mir, nur ohne die psychischen Defizite und die außerordentlichen nasalen Fähigkeiten.
Es gibt so viele Düfte, die mir nur in die Nase zu steigen brauchen, um mich in einen Zustand vollkommener Glückseligkeit zu versetzen. Das fängt an bei dem Klassiker Zimt. Neben Vanille der Duft, dem die meisten Menschen von Geburt an zugetan sind. Weiter geht es mit Lavendel. Wunderbar. Moschus. Ich gehöre zu dem Drittel der Menschheit, die absolut darauf abfahren. Ganz toll finde ich auch frisch gemahlene Kaffeebohnen, eine Meinung, mit der ich nicht allein da stehe. Zugegeben, als Kind hätte man mich wohl als Schnüffler bezeichnet, weil ich noch heute von Benzin nicht genug bekommen kann. Ganz toll finde ich auch das Aroma von Knoblauch. Hm! Nicht aus dem Mund anderer Menschen, aber aus dem Kochtopf.
Mit vielen Parfums verbinde ich wunderschöne Erinnerungen. Begegnet mir ein Mann, der eines derjenigen welchen Düfte verwendet, ist es um mich geschehen. Das fängt an bei CK One, das meine erste Liebe benutzte. Zuvor konnte ich es nicht ausstehen, jetzt liebe ich es. Andere Marken sind Fahrenheit, ein herber Duft, der in totalem Gegensatz zu einem weiteren Liebling, Jean Paul Gaultier pour homme, weich und lieblich, steht.
Über diesen künstlich erzeugten Gerüchen stehen ungeschlagen die Gerüche, die vom menschlichen Körper ausgehen. Frisch gewaschenes Haar, daraus kann ich meine Nase nicht halten. Meine persönliche Nummer 1 der Gerüchte aber ist: Schweißgeruch, der beim und nach dem Beischlaf entsteht. Lecker!
Danke an die Evolution, die uns mit Pheromonen beschenkt hat.

Mittwoch, 6. September 2006

Der Mann, der lächelte

Heute morgen habe ich ihn wiedergesehen. Morgen ist es zwei Wochen her, dass ich ihm das letzte Mal begegnet bin. Trotzdem kommt es mir vor, als sei es gestern gewesen.
Als der Platz frei wurde, setzte er sich mir gegenüber. Ich nutzte die Gelegenheit, ihn ein wenig genauer zu betrachten, um Details auszumachen.
Um seine schmalen Lippen spielte ein Lächeln, so, als sei er ganz in Gedanken versunken. Wohl bei einer schönen Erinnerung an das letzte Wochenende. Wie er mit seinen Kindern über den Maschsee gesegelt ist.
Seine Nase wirkt einen Tick zu groß, passt aber wunderbar zu seinen charismatischen Augenbrauen. Seine Ohren sind klein. Sie fallen kaum auf. Auf seiner Stirn zeichnen sich horizontal mehrere tiefe Furchen ab, ob er sie zu oft in Falten legt. Auch heute wieder verknoteten sich seine langen, markanten Finger während er, den Blick aus dem Fenster gerichtet, seinen Gedanken nachhing.
Als ich ausstieg, schenkte er mir erneut sein bezauberndes Lächeln. Ich bilde mir ein, dass es einen Augenblick länger andauerte als das letzte Mal.

Mittwoch, 30. August 2006

Voll in die Hose

Ich war neu in dem Seminar, kannte dort niemanden. Ich war froh über jede Person, die sich für mich interessierte und mit der ich ein wenig Small Talk halten konnte.
Ein Typ schien sich ganz besonders für mich zu interessieren. Er schaute während des Seminars immer wieder zu mir, fixierte mich mit seinem Blick. Woher er meine Handynummer hatte, war mir schleierhaft, aber trotzdem bombardierte er mich regelrecht mit SMS. Irgendwann fragte er mich, ob er mich zum Essen einladen dürfe.
Aus oben genanntem Grund sagte ich zu. Ich kannte ihn im Grunde nicht, aber vielleicht stellte sich heraus, dass er ein ganz netter Kerl ist. Optisch war er zwar so gar nicht mein Fall (zu wenig Haare, zu wenig Hals, zu viel Brustumfang [ich mag es nicht, wenn ein Mann eine größere Körbchengröße hat als ich]), aber das Aussehen spielte bisher bei mirnie eine Rolle nur eine untergeordnete Rolle bei der Wahl eines LAP.
Nach dem Seminar wollten wir zusammen in ein nahe gelegenes Restaurant fahren.
"Kannst Du bitte die Schuhe ausziehen! Ich mag es nicht, wenn jemand mit Straßenschuhen den Fußraum beschmutzt."
Was?! Ich dachte, ich hörte nicht richtig. Ein Auto ist für mich ein Gebrauchsgegenstand und kein keimfreier Raum. Aber gut. Ich kam der AufforderungBitte nach und zwängte mich in seinen auf Hochglanz polierten Sportwagen mit mehr PS als Reiner Calmund Pfund auf die Waage bringt.
Ein Gespräch wollte nicht so richtig anlaufen, im Gegensatz zum Drehzahlmesser, das bereits so richtig aufgedreht hatte. Ich krampfte mich an den Griff in der Türverkleidung und hoffte darauf, dass das letzte Weihnachtsfest nicht auch mein letztes gewesen sein sollte.
Nicht, ohne mir vorher die Schuhe wieder anzuziehen, betraten wir das Lokal. Statt mich nach meinen Vorlieben bezüglich eines Sitzplatzes zu fragen oder mir die Tür aufzuhalten, wie ich es von einem Mann erwarten würde, der mich beeindrucken möchte, schwang er die Tür vor mir auf und ich musste Acht geben, dass ich nicht gleich von ihr erschlagen werden würde. Zielsicher steuerte er auf einen Tisch zu und ließ sich schwerfällig auf einen Stuhl plumpsen.
Ich bestellte und hörte ihn nur sagen:
"Für mich das Gleiche, bitte."
Sehr kreativ.
Dann begann der Monologdas Gespräch. Seine Eltern hatten einen privaten Pflegedienst, bei dem er ganz stark eingebunden war. Er arbeitete 12 Stunden täglich, neben dem Studium, versteht sich. Ich fragte mich, wann er wohl schlief. Den Augenringen nach zu urteilen, gar nicht.
Er habe sich ein Haus gebaut. Direkt neben das seiner Eltern. Das mache das gemeinsame Arbeiten einfacher. Und Mutti konnte weiterhin für ihn kochen, klar.
Seine Freundin habe ihn vor kurzem verlassen. Dabei hatte er sie doch ständig mit Schmuck, Städtetrips und Schönheitskorrekturen überhäuft. Er verstehe das nicht. Ich auch nicht.
Am Wochenende erst war er auf dem Nürburgring. seinen Wagen mal so richtig ausfahren. Merkwürdig, ich dachte, das hatte er heute bereits getan.
Ich gab mir Mühe, auch etwas zu dem Gespräch beizutragen. Vergeblich. Sämtliche Aussagen meinerseits wurden durch ein "Du hast völlig recht." oder "Geht mir genauso." quittiert, um nahtlos an seine Vorstellung, was für ein toller Hecht er sei und warum keine Frau bei ihm bliebe, obwohl er sie so sehr verwöhne, anzuknüpfen.
Nach zwei Kaltgetränken gelang es mir, glaubhaft darzulegen, dass es für mich Zeit sei, nach Hause zu fahren. Leider ließ mein Begleiter sich nicht davon abbringen, mich nach Hause zu fahren. Also eine weitere Runde auf dem Nürburgring am Griff festkrallen.
Bei mir angekommen, spekulierte er wohl darauf, meine vier Wände auch einmal von innen sehen zu dürfen. Statt dessen dankte ich ihm kurz angebunden und ergriff die Flucht ins Haus.
Soweit ich informiert bin, steht er derzeit in Verhandlung mit einem großen Privatsender über ein neues Sendeformat: ASDS - Achim sucht die Superfrau. Frauen, lauft um Euer Leben!Viel Glück, Achim!

Donnerstag, 24. August 2006

Heute Morgen in der Bahn

Ich setze mich ihm gegenüber. Auf Anhieb fällt mir auf, wie attraktiv er ist. Sehr athletischer Körperbau. Ich tippe auf Ausdauersport. Rennradfahren vielleicht. Oder Marathon. Verheiratet.
Er könnte mein Vater sein. Trotzdem schaue ich ihn immer wieder verstohlen an. Unsere Blicke treffen sich und bleiben für einen Moment, der zu lang andauert als dass er als zufällig abgetan werden könnte, aneinander haften.
Außerplanmäßig stoppt die Bahn zwischen zwei Haltestellen. Nervös spielt er mit dem Träger seiner Umhängetasche. Er rollt den Träger zusammen, umschließt damit seinen Finger. Als er sein Handy aus der Hosentasche zieht, überlege ich, ob er wohl seine Frau verständigen will ob bevorstehender Katastrophen. Nichts dergleichen. Das Handy verschwindet wieder in der Hose und die Bahn fährt wieder an.
Gleich kommt meine Station. Statt auszusteigen würde ich lieber hier sitzen bleiben, ihn weiterhin ansehen und mir ausmalen, wie er ist, was er tut, wie seine Stimme klingt.
Die Bahn wird langsamer. Während ich noch überlege, ob ich mich beim Herausgehen noch einmal umdrehe, um ihn anzuschauen und festzustellen, ob er das Gleiche tut, schenkt er mir unvermittelt ein Lächeln. Ein Verschwörerlächeln, das mir zeigt, dass ich nicht die Einzige bin, die taxiert.
Heute wird ein guter Tag.

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