Frankfurter Schule
Nichts Böses ahnend saß ich im Zug auf dem Weg nach Hause. Es war Feierabendverkehr und so stellte ich meine Tasche nicht auf den Sitz neben meinen, sondern ließ diesen für andere Fahrgäste frei.
Ein Mann, er muss so um die sechzig, fünfundsechzig gewesen sein, setzte sich neben mich. Noch immer dachte ich mir nichts Böses. Als er mich auf das Buch, in dem ich gerade las, ansprach, zog ich mir die Stöpsel aus den Ohren, weil ich mich mit Musik in den Ohren schlecht auf ein beginnendes Gespräch konzentrieren konnte.
Es handelte sich um einen Reiseführer für Frankfurt, den ich mir heute als Einstimmung auf die neue Heimat gegönnt hatte.
"Wohnen Sie dort?" So begann das Frage-und-Antwort-Spiel. Wahrheitsgemäß erläuterte ich ihm, demnächst dort hin zu ziehen.
Er habe auch einmal dort gelebt, berichtete mir der Herr, der mich durch seine von öligen Fingern verschmierten Brillengläsern mit seinem wirren Blick musterte. Ein unangenehmer, von kaltem Zigarettenrauch stammender Geruch ging von ihm aus. Seine Zähne waren schlecht und den Härchen auf seinen Tränensäcken nach zu urteilen, hatte er sich kurz zuvor die Augenbrauen mit einer Schere gestutzt.
Nachdem er sicher gestellt hatte, dass ich "deutscher Abstammung" sei ("Sie sehen aus, als seien Sie aus Südeuropa"), legte er mir in prägnanten, kurzen Sätzen seine Lebensauffassung und seinen Plan, die Weltherrschaft, respektive die Herrschaft über Deutschland zu erlangen, dar.
"Was studieren Sie? BWL? Genau das Falsche. Das werden wir sofort abschaffen: die BWL, Rechtswissenschaften und natürlich die Theologie!"
Günter Grass sei sein Freund und in der gleichen Straße geboren wie er. Das betonte er während unseres vielleicht siebenminütigen Gesprächs (oder soll ich Monolog sagen?) mindestens drei Mal. Die beiden kennen sich aus der Frankfurter Schule.
Er und seine Partei planten derzeit eine Reform im eigentlichen Sinne des Wortes: Recht auf Bildung, von der Volksschule an. Recht auf Arbeit ("Jeder soll 1500 Euro verdienen, egal, ob er BWL studiert hat oder nicht") und so fort. Die derzeitige Verfassung sei Deutschland von den Allierten "aufoktruiert" worden und mit Demokratie habe die Situation in Deutschland nichts zu tun. Deshalb solle ich mein Kreuz bei der nächsten Wahl auch an der (seiner Meinung nach) richtigen Stelle machen: Die Linkspartei.
Auf Wiedersehen. Ihnen auch eine gute Reise.
Ein Mann, er muss so um die sechzig, fünfundsechzig gewesen sein, setzte sich neben mich. Noch immer dachte ich mir nichts Böses. Als er mich auf das Buch, in dem ich gerade las, ansprach, zog ich mir die Stöpsel aus den Ohren, weil ich mich mit Musik in den Ohren schlecht auf ein beginnendes Gespräch konzentrieren konnte.
Es handelte sich um einen Reiseführer für Frankfurt, den ich mir heute als Einstimmung auf die neue Heimat gegönnt hatte.
"Wohnen Sie dort?" So begann das Frage-und-Antwort-Spiel. Wahrheitsgemäß erläuterte ich ihm, demnächst dort hin zu ziehen.
Er habe auch einmal dort gelebt, berichtete mir der Herr, der mich durch seine von öligen Fingern verschmierten Brillengläsern mit seinem wirren Blick musterte. Ein unangenehmer, von kaltem Zigarettenrauch stammender Geruch ging von ihm aus. Seine Zähne waren schlecht und den Härchen auf seinen Tränensäcken nach zu urteilen, hatte er sich kurz zuvor die Augenbrauen mit einer Schere gestutzt.
Nachdem er sicher gestellt hatte, dass ich "deutscher Abstammung" sei ("Sie sehen aus, als seien Sie aus Südeuropa"), legte er mir in prägnanten, kurzen Sätzen seine Lebensauffassung und seinen Plan, die Weltherrschaft, respektive die Herrschaft über Deutschland zu erlangen, dar.
"Was studieren Sie? BWL? Genau das Falsche. Das werden wir sofort abschaffen: die BWL, Rechtswissenschaften und natürlich die Theologie!"
Günter Grass sei sein Freund und in der gleichen Straße geboren wie er. Das betonte er während unseres vielleicht siebenminütigen Gesprächs (oder soll ich Monolog sagen?) mindestens drei Mal. Die beiden kennen sich aus der Frankfurter Schule.
Er und seine Partei planten derzeit eine Reform im eigentlichen Sinne des Wortes: Recht auf Bildung, von der Volksschule an. Recht auf Arbeit ("Jeder soll 1500 Euro verdienen, egal, ob er BWL studiert hat oder nicht") und so fort. Die derzeitige Verfassung sei Deutschland von den Allierten "aufoktruiert" worden und mit Demokratie habe die Situation in Deutschland nichts zu tun. Deshalb solle ich mein Kreuz bei der nächsten Wahl auch an der (seiner Meinung nach) richtigen Stelle machen: Die Linkspartei.
Auf Wiedersehen. Ihnen auch eine gute Reise.
madamesauvage - 28. Jun, 21:01
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