Ein Tag in der Dunkelheit

Es gibt Tage, an denen man sich fragt, was das ganze Theater überhaupt soll. An diesen Tagen fragt man sich, warum man sich jeden Morgen aufs Neue der Welt aussetzt. An diesen Tagen beschleicht einen das Gefühl, nichts wolle so funktionieren, wie man es sich vorstellt. Man fällt in ein tiefes Loch und weiß nicht, ob sich je ein Ast über die kleine Öffnung wölben wird, an dem man sich festhalten kann und sich selbst aus der Dunkelheit befreien kann.
Erst letzte Woche war so ein Tag. Ich kehrte nach einem Wochenende in meiner Lieblingsstadt zurück und hatte urplötzlich das Gefühl, nichts sei so wie zuvor. Ich fühlte mich wie gefesselt, so, als schnüre mir meine gewohnte Umgebung die Luft zum Atmen ab. Nichts vermochte meine trübe Miene zu erheitern. An nichts fand ich mehr Freude. Nicht am Lesen, nicht an Musik, nicht einmal an der Kommunikation mit meinen Mitmenschen. Ich wollte nur noch raus. Raus aus dem Alltag, fort. Irgendwo hin, wo mich niemand kennt und wo ich allein sein kann mit mir und meinem Trübsal.
Eine erneute Absage war an diesem Tag in meinem Postfach gelandet. „Sehr geehrte Frau S., nach eingehender Prüfung Ihrer Unterlagen mussten wir feststellen, dass Sie mit Ihren Qualifikationen für keine Stelle in unserem Hause geeignet sind...“ Bla bla bla. Ich kann es nicht mehr sehen. Diese Phrasendrescherei und Schönfärberei, mit der die Personalabteilungen dieser Welt versuchen, den armen Trotteln auf der Strasse zu verklickern, dass sie schlichtweg für keine Arbeit zu gebrauchen sind.
All das kam an diesem Tag zusammen. Die triste Wetterlage, die ihren Eigenschaften zufolge eher dem April als dem Mai zuzutrauen war, tat ihr Übriges. Gibt es denn nichts auf dieser Welt, für das es sich weiterzumachen lohnt?
An diesem Tag jedenfalls gab es das für mich nicht. Ich verkroch mich in meinen vier Wänden, sperrte die Welt aus und herrschte jeden, der das Wort an mich richtete, an, dass ich mich im Nachhinein sofort entschuldigte. Ich hätte dankbar sein sollen, dass es Menschen gibt, die für mich da sind. Statt dessen trat ich ihre Freundschaft mit Füßen.
War es vielleicht eine Hand, die sich statt des Astes in das Loch hinab begab, um mir heraus zu helfen? Nein. Es war das Resultat stundenlangen Nachdenkens und der Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich zu grämen statt das Leben positiv zu betrachten. Also spuckte ich kräftig in die Hände, stellte mich der Herausforderung und stemmte mich mit aller Kraft aus der Dunkelheit. Aus der Retrospektive war es nicht einmal alle Kraft, sondern seine leichte Übung.

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