Montag, 29. Mai 2006

Clichés

Es gibt einen Ort, an dem das Geld wohnt. Ich habe ihn gesehen. In der ansässigen Pizzeria begegnete mir der Inbegriff des Vorurteils der Person, die an diesem Ort lebt.
Mehr als mediterrane Atmosphäre versprühte das Lokal einen altdeutschen, gutbürgerlichen Charme. An der Decke Eichenkassetten, der Fußboden gefliest in einer Farbe irgendwo zwischen lindgrün und schmutziggelb. Die Wände zierten unzählige, gerahmte Fotografien vergangener Tage. Darauf zu sehen: italienische Herren mittleren Alters zu Zeiten, in denen die Bundesrepublik noch Gastarbeiter ins Land holt.
Die Stuhlkissen sind die gleichen wie in den heimischen vier Wänden und die gleichen wie in unzähligen deutschen Haushalten, erhältlich in einem großen, schwedischen Möbelhaus. Die Tische stehen dicht beieinander. So dicht, dass man dem Gespräch am Nachbartisch folgen kann, ob man will oder nicht. Ich wollte nicht, musste trotzdem die Ausführungen einer Person weiblichen Geschlechts über meine Ohren ergehen lassen, die mangelnde Körpergröße und, so wie mir scheint, mangelnden gesunden Menschenverstand durch unqualifizierte, jeder Grundlage entbehrende Kommentare zu kompensieren versuchte. Jedoch blieb es beim misslungenen Versuch.
Mich beschlich das Gefühl, dass die Sätze, die den Mund verließen, gar nicht für den Gegenüber bestimmt waren, sondern nur der Klang in den eigenen Ohren von Bedeutung war. Diesen Rückschluss zog ich daraus, dass nicht eine Antwort zu der vorangegangen Frage passte. Überhaupt kam ein Gespräch gar nicht richtig zustande, da die beschriebene Person entweder mit Maßregelungen oder Beschwerden über die gegenüber sitzende Person, respektive über die Mutter der gegenüber sitzenden Person, aufwartete.
Ich mag keine Statussymbole. Noch weniger mag ich Menschen, die durch Statussymbole von sich selbst abzulenken versuchen und dadurch etwas repräsentieren, das ihnen an Persönlichkeit fehlt. Gibt es an einem Ort zu viele von diesen Menschen, überlege ich mir genau, ob ich an diesem Ort leben möchte. Da kann die Penne al' Arrabbiata noch so gut sein.

ICE 77

Eine Fahrt mit dem ICE von Hannover in Richtung Zürich am Sonntag Mittag macht die Entscheidung für ein Auto und gegen die Fortsetzung des Bahnfahrens um einiges leichter.
Nicht einmal die erschreckenden Benzinpreise noch die Vorstellung eines 50 Kilometer langen Staus auf der A7 am letzten Tag der Sommerferien bei einer gefühlten Temperatur von 45°C in Ermangelung einer Klimaanlage wiegen schwerer als das Erlebnis dieser Zugfahrt, die eher einem Viehtransport denn einer Reise gleicht, für die man weit über 100 Euro bezahlt.
Warum kann man für weniger Geld die schönsten Metropolen Europas inklusive Kleingebäck und Heißgetränk bereisen und warum muss man hier der Gefahr ausgesetzt werden, bei Tempo 210 in einer scharfen Linkskurve mangels Sitzplatz seinem Leidensgenossen dem benachbarten Fahrgast näher zu kommen als es einem lieb ist? Es ist schon eine grenzwertige, gar unnötige Erfahrung, die man da macht.
Die Luft ist erfüllt von verschiedenen Gerüchen, die von menschlichen Ausdünstungen aufgrund ausbleibender Desodorierung über den beißenden Gestank der Toilettenchemikalie bis hin zu dem akzeptablem Duft markanten After Shaves riechen reichen.
Gleichzeitig mischen sich verschiedene Dialekte zu einem Stimmengewirr, das mich daran zweifeln lässt, dass die Besitzer dieser Stimmen aus dem selben Land stammen wie ich. Ich ziehe es vor, statt auf Konversation mit mir unbekannten Mitreisenden (die allzu oft in ermüdendem Small Talk endet) auf meine eigene Welt zu setzen, die determiniert wird von einem Van Veeteren, der sich der Aufklärung eines Mordes, zurückführend auf Inzest, widmet und den musikalischen Ergüssen von Johnny Cash, Maximo Park, Avenged Sevenfold und anderen, die mich das augenblickliche Dilemma für einen Moment vergessen lässt.

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